Wolverine: Weg des Kriegers

Im Vorlauf zum Titel wird Wolverine / Logan in einer drastischen Szene mit seinen wichtigsten Eigenschaften vorgestellt: er wird den Atomangriff von Nagasaki aus nächster Nähe überleben. Er versteckt einen japanischen Soldaten in einem engen, rundgemauerten Verließ oder Brunnen und drückt den Deckel von außen zu, so den Soldaten schützend, sich selbst den tödlichen Strahlungen aussetzend. Wie die Wolken sich verzogen haben, klettert er in die Enge hinunter zum verängstigten japanischen Soldaten. Wolverine selbst ist ganz schwarz verbrannt im Gesicht; wie er unten ist, regenerieren sich seine furchtbaren Verbrennungen, die er während der Explosion erlitten hat, wie von selbst, seine Unverwundbarkeit demonstrierend. Vorher schon haben wir eine weitere Eigenschaft von ihm kennen gelernt (für alle, die die dem Film zugrunde liegende Comic-Figur nicht kennen; aber das ist eben professionelles Filmemachen wie James Mangold es hier nach einem Buch von Mark Bomback, Scott Frank, Christopher McQuarrie souverän demonstriert); Wolverine kann die Szenerie vor dem Bombenabwurf aus einem Gefängnis heraus einzig aus dem Grund beobachten, weil ihm im Bedarfsfalle zwischen den Fingerwurzeln an jeder Hand je drei Klingen aus Eisen wachsen, die es ihm ermöglichen, sich in die Mauern einzuhaken und sich so daran hochzuziehen.
Der japanische Soldat befindet sich durch die Rettung in einer Situation der Dankbarkeit Logan gegenüber. Aber die Wege der beiden trennen sich.

Die jetzt folgenden Titel nutzt James Mangold für einen gewaltigen Zeit-, Orts- und Situationssprung: Jahre später, Wolverine ist inzwischen ein zotteliger Wilderer-Rächer hoch im Norden Amerikas mit langem Haar und noch finstererem, entschlossenerem Blick geworden.

Wolverine frönt einer Mission, er tötet brutal illegale Bärentöter. In dieses ungestört selbstjustizhafte Tun hinein platzt eine Einladung nach Japan. Der Mann, den er bei Nagasaki gerettet hatte, der ist inzwischen einer der reichsten Unternehmer Japans geworden. Der Konzern heißt wie er: Yashida. Er möchte sich bei Wolverine bedanken. Der kann den Ausflug mit dem Privatjet nicht ablehnen.

In Japan gerät er in die Erbfolgeintrigen um den sterbenden und bald auch toten Yashida. In diesem Kampf, in welchem er ritterlich die Tochter Yashidas, die zur Erbin ausersehen ist, schützen soll, steht noch die rothaarige Kämpferin, die ihn abgeholt hat, auf seiner Seite.

Gegen sich hat er ein ganzes Knäuel an Erbschleichern und -intriganten, die prominenteste Figur darunter ist ein blonder Vamp, eine Frau, die allein mit ihrem Hauch Menschen vergiften kann, aber auch einen giftigen Brei aus ihrem Mund ausstoßen. Für den Countdown wird er ferner von einem menschlicher Roboter, nicht ganz so ausgefeilt wie die Modelle in „Pacific Rim“, in einem endlosen, fast hohlen Hochaus zu einem Kampf herausgefordert, der das menschlich Vorstellbare bei Weitem übertrifft.

Die mit cooler Regiehand angerichtete Inszenierung von James Mangold erweckt den Eindruck der Bemühung um respektvolle Werktreue. Aber gerade das scheint mir die Hypothek des Filmes zu sein, nebst dem später noch zu verhandelnden 3D. Nämlich die Figur des Helden: Wolverine / Logan schaut meist vor allem grimmig, missmutig, griesgrämig, hochentschlossen wie ein Held, der meint, er habe die ganze Welt zu retten – und das mit seinen Muskeln und Eisenklingen. Das wirkt heutzutage etwas strange in unserer multipolaren Welt. Kein Wunder, der Comic erschien zum ersten Mal in den 70er Jahren. Da waren Gut und Böse auf dieser Welt noch klar verteilt und durch einen Eisernen Vorhang getrennt. Ob in unserer multipolaren Welt diese Art von unsterblichen Superhelden noch nützlich und sinnvoll eingesetzt werden kann, das wage ich allerdings zu bezweifeln. Logan erleidet zwar in Japan bei seinen Kämpfen eine Schwächephase, er wirkt angeschlagen, aber die wird bald wieder von der scheinbar ad libitum regenerierbaren Superheldenhaftigkeit eingeholt. Heutzutage ist Supersicherheit ein Schlüsselwort, Supersicherheit, die sich erlaubt alles auzuspionieren. Da stehen Superhelden wie außerhalb der Zeit daneben, da helfen ausfahrbare Fingerklingen und ewige Regenerierbarkeit von Haut und Knochen wenig.

Dieser Film wird wieder in einem die Nase belastenden, das Augenlicht mindernden, das Portemonnaie aussaugenden 3D gezeigt, was jedoch weder inhaltlich noch künstlerisch einen Mehrwert erzeugt.

Drei Stunden

Ein sympathischer Autorenfilm von Boris Kunz. Komödie nicht der reißerischen Ablachmechanik oder der Timingbrillanz wegen, die Komik entsteht hier wie beiläufig, weil der Mensch offenbar ein kompliziertes Wesen ist und oft das Naheliegende nicht rafft, nicht checkt, das, was er eigentlich will. Weil der Mann seinen großen Träumen von Kunst, von Fantasie, von Luftschlössern oder Theaterinszenierungen nachrennt und weil die Frau die Welt in Afrika verbessern, den Kontinent vor Monsanto schützen zu müssen glaubt. Menschen, die sich was zutrauen, stellen sich herausfordernden Aufgaben. Doch sucht der Mensch immer auch die Liebe. Wenn das mal nicht die größere Herausforderung ist. Aber sie könnte leicht ob missionarisch oder pathetisch wichtiger Projekte verschütt gehen, übersehen werden und die oder der Bedürftige rennt ständig an ihr vorbei. So bleiben denn für die beiden Protagonisten Isabel und Martin, Claudia Eisinger und Nicholas Reinke, gerade mal, wie der Titel sagt, drei Stunden, um das mit der Liebe in einer aufregenden Jagd durch das zwischen Postkarte und Eigenbrötlertum angemessen fotografierte München auf die Reihe zu kriegen – oder vielleicht auch nicht.
Der Soundtrack trifft treffsicher die Gefühlslage dieser von einem Hauch Karl Valentin durchwehten, münchnerischen Betrachtung über das leicht gestörte Paarungsverhalten längst geschlechtsreifer, aber die Geschlechteraufgabe im Sinne der Liebe nicht so recht realisieren und vollziehen wollenden oder könnenden Großstädter. Hinschauen lohnt.

The Company You Keep – Die Akte Grant

Terrorismus-Aufarbeitung auf amerikanisch. Um diesem erstklassigen Kinoprodukt das Tüpfelchen aufzusetzen: á la Robert Redford. Er spielt hier nicht nur die Hauptrolle des Jim Grant. Er führt auch die Regie mit einem handverlesenen Ensemble nach einem Buch von Lem Dobbs, der einen Roman von Neil Gordon zur Vorlage hatte.

Die terroristische Gruppe nannte sich „The Weather Underground“, eine Protestgruppe gegen den Vietnamkrieg. Eine der Aktionen war ein Banküberfall, der einen Toten zur Folge hatte. Dieser Fall wird jetzt, 30 Jahre später, wieder akut, weil sich eine der Beteiligten gestellt hat.

Ein junger Zeitungsmann von der Sun Times, ein Mensch der das Gute will, ein idealtypischer guter Amerikaner, vielleicht könnte man sagen, ein so guter Mensch wie Redford auf jung, interessiert sich für die alte Geschichte. Er kommt dahinter, dass Robert Redford, der inzwischen als Jim Grant ein erfolgreicher Anwalt mit einer 11-jährigen Tochter ist, einer der Beteiligten war.

Auch das FBI fängt wieder an, sich für den Fall zu interessieren. Wenn Redford auffliegt, muss er ins Gefängnis. Sein kleines Familienglück ist bedroht. Wenn seine frühere Mittäterin Mimi, Julie Christie, die auch untergetaucht ist, sich stellen würde, könnte sie Redford entlasten.

Mit inszenatorischer Kinogeschmeidigkeit und prima geführten Schauspielern breitet Redford als Regisseur nun diese spannende Geschichte spannend vor uns aus in beinah zwei Kinostunden.

Auch ein Film übers Altern. Einmal fasziniert mich zusehends bei diesen amerikanischen Stars wie sich das Alter auf ganz eigene Weise im Gesicht festschreibt, so als ob es von der Jugend nicht lassen könne. Und entsprechend ist es mit den Rollen. Irgendwie geht das nicht ganz zusammen. Es scheint, als versuche Redford den jungen Redford zu spielen, er rennt, er joggt, aber das geht alles nicht mehr so leicht. Ein Mensch, der in diesem fortgeschrittenen Alter noch Räuber- und Gendarmspiele treibt, der vor der Polizei flieht, der eine alte Mitkämpferin ausfindig macht, der eine einsame, verlassene Waldhütte aus der Vergangenheit aufsucht, um sich dort mit der früheren und ebenfalls untergetauchten Mitkämpferin zu treffen; das ist doch viel näher bei der Action und Konspiration als bei Weisheit oder gar ausgebufften Machtspielen.

Das ändert nichts daran, dass die Zubereitung dieses Kinomahles vom Feinsten ist. Gekonnt durch und durch. Leicht schaumig geschlagen, keine Ecken, keine Kanten. Ein handwerklich beherrschte Welt und durchdrungen von einem Idealismus, der auch nicht zu altern scheint. Die Darsteller spielen erstklassig und ohne Fehl und Tadel. Jeder seine Rolle. Mit dem richtigen Maß. Allerdings befürchte ich, so ein Film kann hier gleich im Museum untergebracht werden als ein Bericht aus einer exklusiven amerikanischen Star-Altersresidenz, der uns zwei Dinge erzählt: dass die Bewohner den Glauben an das Gute nicht verloren haben, auch das Verständnis für das Gute an gewissen „terroristischen“ Ideen, wenn die gegen den größtmöglichen Terror, den Krieg nämlich, gerichtet sind; aber auch den Glauben an die eigene Unsterblichkeit, an die Möglichkeit, das eigene Startum ständig zu reproduzieren, ohne das Risiko eines Fachwechsels eingehen zu wollen.

21 & Over

Mit 21 wird der Amerikaner erwachsen, darf aus diesem Anlass grenzenlos über die Stränge schlagen und saufen und Texte unter der Gürtellinie ausstoßen. So interpretieren die Autoren und Regisseure Jon Lucas und Scott Moore dieses denkwürdige Ereignis; mit 21 darf der Mensch kindisch sein, wie er will, darf er eine Zote an die andere hängen, darf besinnungslos seinen Witz und seine Würde, seinen Scharfsinn, seinen Tiefsinn und seine Fröhlichkeit gegen ein geblähtes Aneinanderreihen von krampfhaft gesuchten Sex-Ersatzpointen eintauschen.

So exponieren das unsere Autoren in ihrem Film. Wobei zu fragen ist, ob das Zielpublikum der 21jährigen oder jener, die auf diese magische Grenze zu gehen, das wirklich lustig finden. Denn erst gegen Minute 90 dieses 93-minütigen Filmes wird wenigstens die Hauptfigur Justin Chon, der im Film an einer Stelle ein Reisfresser genannt wird, zu einer Figur mit einem Konflikt, mit einem verdammt ernsten Konflikt, von dem man bislang aber nichts bemerkt hat. Denn zuletzt wurde er auf einer dieser Partys mit einem roten BH-bekleidet und einem Teddybär der an sein Gemächt angeheftet worden war, gesichtet und tobt auf einem Autodach herum. Untertext: Leute, das ist urlustig. Der Film ist auch äußerlich generell dunkel gehaltenen, meist spielt er nachts in schlecht beleuchteten Straßen oder in ebensolchen Innenräumen.

Da das nicht lustig genug ist, geraten seine beiden besten Freunde, die ihn zu dieser Geburtstagssause eingeladen hatten – obwohl er der brave Sohn eines strengen Vaters doch so zuverlässig ist und am nächsten Morgen ein Vorstellungsgespräch hätte, denn er möchte, wie schon 5 Generationen in seiner Familie nichts lieber als Arzt werden – also das Modell der Dramaturgie könnte ja funktionieren, wenn, wenn nämlich sein innerer Zwiespalt, dass er überhaupt nicht Medizin studieren möchte und dass er sich nicht traut, das seinem Vater zu sagen, schon von Anfang an klar wäre. Aber das hält der superkluge Film bis zuletzt für sich nach dem Motto, ich erzähle Euch nicht, was ich weiß; somit käme es einem Spoilern gleich, das hier schon zu verraten.

Andererseits, wenn dieser Zwiespalt des Protagonisten von Anfang an klar wäre, dann würde den ganzen Nachtabenteuern die Spannung fehlen; sie fehlt aber auch so; eine dramaturgische Konstruktion, die so oder so nicht aufgehen kann, ein dramaturgie-immunes Stück Blödsinn. Da die Autoren dieses elementare Manko spüren, müssen sie verzweifelt zu „Einfällen“ greifen: einem Mädchenheim, das nachts Sado-Maso-Spiele pflegt. Und weil die beiden Kumpels des Protagonisten auf der Suche nach dessen Adresse da hineingeraten, welch aufwändige, wenig sinnreiche Konstruktion, und auffliegen, muss später eine schwarze Messe der Latina Sisterhood, in der die Frauen in den Kutten die beiden Kumpels ausziehen und ihnen je einen Socken um ihr Geschlechtsteil hängen, den genauen Vorgang wiederum, der hätte ja noch spannend sein können, den enthalten die Filmemacher uns feigerweise vor. Die Strumpfnackerten müssen, weil das so überbordend originell und innovativ ist, ewig durch den Universitätscampus marschieren, bis sie endlich in einer Klinik … oh, hier ist der Ideensaft längst erschöpft, längst vor Beginn des Filmes wahrscheinlich … die Birne mit Alkohol fluten, ist einer der Programmsätze dieses Filmes … den Film mit Zoten und Unter-der-Gürtellinie und mit ausgelutschten, uninspirierten Pointen (komm wieder, wenn Du in der Pubertät bist) verstopfen ohne Interesse für die Figuren. Ein Über-die-Stränge-hau-Film, der das lustig findet.

Die Alpen – Unsere Berge von oben (fünf seen film festival)

Dieser Film schert angenehm unkonventionell aus der drögen Front rekordsüchtiger „von oben“-Filme aus. Er nimmt sich und seinen Titel insofern schon mal ernst, als die Macher, das sind Peter Bardehle und Sebastian Lindemann und der hervorragende Klaus Stuhl an einer fantastischen Kamera, bis auf wenige statische Zeitraffer-Wolken-Aufnahmen als Zwischenschnitte tatsächlich die Welt nur von ihrem Helikopter aus oder in wenigen Momenten mit Leihaufnahmen von Kameras auf Raubvögeln oder auf Vom-Berg-Herunter-Springer aufgenommen haben. Auch dabei haben sie eine wunderbar neugierige, aber ihrer Betrachtungsposition angemessen skeptische, gelegentlich fast belustigte Sichtweise auf das, was hier im Alpenraum zwischen Südfrankreich und Slowenien und der Adria so „kreucht und fleucht“ (so zitieren sie Reinhold Messner am Schluss), wie sich die Menschen an den Alpen abarbeiten und sich an ihnen abmühen.

Überraschend sind einige Einstellungen gleich zu Beginn des Filmes. Die Kamera fliegt über die Alpen, aber sie schaut öfter von unten auf Wände und Gipfel hinauf statt von ganz oben hinunter, noch viel weniger die gerne pathetisch-sentimentale Sicht des Bergsteigers einnehmend, der den großen Rundblick und die Ruhe und die Einsamkeit genießen will. Dieser romantisierenden Bergsehnsucht nach Einsamkeit setzt sie Bilder von einem Aufstieg gegenüber, der eher wie eine Ameisenstraße denn eine einsame Bergflanke ausschaut.

Rasante Aufnahme eines Adlers, der auf einem Bergvorsprung sitzt, der Helikopter dreht sich in weitem Bogen um ihn, die Kamera bleibt äußerst ruhig auf ihm und so scheinen sich die Berge um den Adler herum zu drehen. Bildertaumel.

Der Kommentar wundert sich über vieles und bringt immer wieder Wissenswertes. Über die tektonische Entstehung der Alpen als ein Produkt des Zusammenstoßes der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatten, eines Prozesses von über 50 Millionen Jahren. Dass die Alpen immer noch weiter aufgetürmt werden, dass aber das Wachstum gleichzeitig durch die Erosion wieder egalisiert wird.

Über das Matterhorn, von dem die Filmemacher nebst dem weltberühmten Standardbild ganz ungewöhnliche Sichtweisen bereit stellen, als eines Topmodells von Berg.

Über den Wintersport, der Geld in die Berge bringt und die kargen Berggegenden und -dörfer ökonomisch zum Erblühen bringt; dass sie dafür aber immer neue Attraktionen bieten müssen. Über die Berge als Wege und Hindernis zugleich. Über eine Frontlinie im zweiten Weltkrieg. Die Berge und die Wasserkraft, zum Beispiel der Verzasca-Stausee, an dessen Mauern eine berühmte James-Bond-Szene gedreht wurde, die heute nachgesprungen werden kann.

Die Tiba in Graubünden, ein einfaches Blasinstrument, mit dem die Sennen früher mit dem Tal kommunizieren konnten und dass die Tiba im harten Leben der Räter eine schöne Ablenkung gewesen sei.

Es ist ein buntes Potpourri aus dem Leben auf den Alpen und dem Kampf mit ihnen, der Urbarmachung und als Platz der Erholung, des Sportes und auch der nicht zu bremsenden Gier oder des Dranges des Menschen, nach oben zu kommen, wobei das doch ziemlich gefährlich sein kann, wie manche Bilder überzeugend darlegen.

Seilbahnen und Straßen, Saumpfade und Serpentinen, Panoramastraßen und ein Kirchturm im Stausee, die Trampelpfade der Kühe, die im Sommer wegen der feinen Gräser auf die Alpe gehen. Ach ja, und hier wurde doch der Ötzi gefunden, also die Alpen sind schon über 5000 Jahre Menschengebiet.

Aber auch industrielle Nutzung, malerischer Eisenerzabbau oder die farbvirtuose Mündung des kalten Rheinwassers in den Bodensee. Die Traumschlösser von König Ludwig. Elektroschiffe auf dem Königsee.

Lustig wirken immer jene Luftaufnahmen, die ganz nah an die Menschen auf dem Boden, in Ortschaften, im Boot herangehen. Eigernordwand, was treibt die Menschen dermaßen nach oben? Der kurze Moment des Glücks? Und zum Schutz von Obstplantagen steigen auch mal Flugzeuge in eine Wetterfront auf, um sie mit Jodpartikelchen zum Abregnen zu bringen, vorbeugend gegen Hagel. Und wenn der Hagel die Plantage nicht kaputt macht, so kann es ein Bergsturz sein.

Ein unbeschwerter, vielfältig-interessanter Flug, gelegentlich mit ironischer Distanz gewürzt über und an und durch die Alpen, wilde Täler und steile Berghänge, wilde Flüsse und gezähmte, und überall menschliche Siedlungen.

Portugal Mon Amour (fünf seen film festival)

Obwohl der Film in Paris spielt und nur ein einziger Fado-Song drin vorkommt und zwar erst im hinteren Teil des Filmes, ist dieser durchdrungen von diesem matt-weichen Charme Portugals und der portugiesischen Sprache, die sich so unaufdringlich ans Ohr anschmiegt. Denn die Hauptakteure dieses Filmes des Portugal-Franzosen Ruben Alves, Hugen Gélin hat am Buch mitgeschrieben, sind Portugiesen.

Es ist das Ehepaar Maria und José Ribeiro. Die wohnen schon über dreißig Jahre in Paris und ernähren sich redlich. Es sind keine Revolutionäre, es sind selbstverständlich dienende und höchst zuverlässige Personen. Maria als Concierge in einem feinen Stadthaus und José als Polier in einer Baufirma.

Beide werden von ihren Chefs nach allen Regeln der Kunst ausgenutzt, José vom Bauunternehmer Francis Cailaux, Maria von der Hausbesitzerin Mme Reicher. Maria hilft immer mit, den Innenhof so mit Blumen zu bestücken, dass Madame Reichert regelmäßig den Wettbewerb für die schönste Bepflanzung gewinnt. Und José wird gerade jetzt unentbehrlich für seinen Unternehmer, der am Rande der Pleite steht, und ein Einkaufszentrum plant; Bedingung für das Geschäft ist von den Kunden, dass José als Vorarbeiter dabei ist.

Das Schicksal wird jetzt allerdings eintreten für eine kleine, so gut wie gewaltlose Tulpenrevolution (die portugiesische war damals die Nelkenrevolution), hier ist der Begriff ein kleiner Scherz.

Denn José hatte einen Bruder in Portugal, der ein großes Landgut mit vielen Hektar Reben besaß und betrieben hat. Aber die beiden Brüder waren verkracht, hatten jahrelang keinen Kontakt mehr. Nun platzt also in die Pariser Ausnutzungsidylle ein Notarschreiben, dass der Bruder gestorben sei und José sein Erbe werde. Bedingung, er müsse das Gut weiter betreiben, was bedeutet, dass er sich aus der Abhängigkeit des Ausgenutztwerdens befreien müsste und das gleiche gälte für seine Frau.

So topsecret wie das brave Ehepaar diese Neuigkeit für sich behält, so topsecret macht sie schnell die Runde. Es sind zwei erwachsene Kinder in der Familie. Ein Sohn und eine Tochter. Die Tochter ist gerade verliebt in den Sohn des Arbeitgebers von José. Durch das Gerücht aufgeschreckt, setzen jetzt die Chefs alles daran, ihre ausgebeuteten Angestellten zu behalten.

Madame Reichert hatte mit den übrigen Wohnungsbesitzern gerade errechnet, wie viele Zehntausend Euro sie dank Maria spare und der Unternehmer bangt um seinen rettenden Auftrag. Diese merkwürdige, masochistische Loyalität zu ausnutzenden Dienstherren, die löst nun einen Kampf im Inneren der braven, zuverlässigen Portugiesen aus, verkompliziert durch die Beziehungen und Verwicklungen der Kinder. Sollen die Portugiesen die Revolution wagen, gerade jetzt, wo ihre Herrschaften, denen sie so lange gedient hatten, denen sie konsequent treu ergeben waren und von denen sie sich genau so konsequent haben ausnutzen lassen, sollen, dürfen sie die Revolution wagen, jetzt wo ihre Herrschaften sie doch so dringend brauchen?

Ein sanfter portugiesischer Revolutionsfilm voll bodenständiger Herzlichkeit und einem Humor, der sich nicht anbiedert, umrahmt von einigen herrlichen Nebenfiguren, die beiden verwöhnten Kinder von Madame Betrand oder der chinesische Bonsailiebhaber; aber auch die Sprachlosigkeit in den Familien, wie keiner entscheidende Dinge sich zu sagen traut, wird schön eingebracht – und zwar knallhart sowohl in der ausgebeuteten Unterschicht als auch in der ausbeutenden Oberschicht.

Und der Fado, der klingt noch lange nach dem Kinobesuch nach.

Sadhu (fünf seen film festival)

Was macht ein junger Mann, fast schon in den besten Jahren, körperlich ideal gebaut (und wohl ein Freund der Freikörperkultur), der einmal davon geträumt hat, eine Karriere als singender Musiker zu machen, der noch ganz verhalten, fast theoretisch ein Leben in Zweisamkeit erwägt, der aber offenbar den Sinn im Leben noch nicht gefunden hat?

Suraj Baba ist ein solcher junger Mann. Er hat sich 8 Jahre als Einsiedler in Indien ins Gebirge zurückgezogen und ein Eremitenleben als Sadhu, als Wahrheitssuchender gelebt in einer einfachen Behausung, mehr Höhle als Haus.

Ihn hat der Schweizer Dokumentarist Gael Métroz dort aufgesucht und ist bei ihm geblieben. Erst hat er ihn in seinem Einsiedlerleben mit vielen Nahaufnahmen gefilmt. Wie er kocht, meditiert, sich am Fluss wäscht. Wie er erzählt, dass das nicht immer leicht war in dieser Zeit. Dass er Zweifel gehabt hat. Und dass er jetzt eine Abwechslung brauche.

Er hat sich zu einer Pilgerreise nach Kumbha Mehla entschlossen. Der Dokumentarist begleitet ihn. Die Pilgerreise hat er barfuß, resp. nur mit Sandalen als Schuhwerk angetreten. Das ist nach etwa einer halben Filmstunde, die bisher ein Einpersonenfilm gewesen ist, der Fall.

Métroz heftet sich an seine Fersen, wird sein intimer Begleiter bei dieser Wahrheitssuche. Wir sind dem Suchenden ständig nah. Und doch erfahren wir bis zuletzt nicht, was ihn treibt. Er hat aber von einer gelegentlichen, gewissen Leere gesprochen. Er spricht auch von Jahren des Leidens, von einem Ungleichgewicht in seinem Denken – braucht er eine Therapie?

Er entscheidet nach dem Prinzip der via negationis. Kumbha Mehla, das ist filmergiebiger Zirkus und Massen und Show und Jahrmarkt und Wettbewerb der Gurus um den aufregendsten Auftritt. Das gefällt Baba nicht. Ein Guru will er auch nicht sein. Das erzählt uns eine Szene mit einer Frau, die um seinen Segen bittet.

Ein Sadhu referiert über die Wachheit der Sadhus und dass sie wenig Schlaf brauchen. Baba möchte aber ganz etwas Spezielles, das Konkrete, wie er meint – und bleibt doch nur abstrakt. Er möchte zur Quelle der Schöpfung, das ist sein neuer Entschluss, er will zu den Heiligen Seen tief im Gebirge Nepals, eine lange und strapaziöse Reise durch endlose, kahle, steinige Hochtäler.

Eine Zwischenstation ist Kathmandu. Hier fährt der Pilger Rikscha und deckt sich mit Reiseutensilien ein und mit neuen Schuhen. In einer Musikbar greift er selbst in die Gitarre. Wie er überhaupt oft Musik macht und dazu Lieder singt „Zögere nicht, wenn ein schönes Mädchen kommt“ oder „Baby, ich liebe dich“. Aber sein Verlangen nach Frauen scheint mehr theoretischer Natur zu sein.

Zwischendrin lässt Métroz stimmungsvoll einen Adler kreisen. Der Suchende sucht das Konkrete, aber Tempel und Klöster behagen ihm nicht. So sucht er denn den See, wundert sich selbst zwischendrin, auf was für einen Weg er sich aufgemacht habe, sorgt sich ein bisschen, was er nach dieser Reise, die ihm viele Erkenntnisse verschafft habe, machen werde.

Im Film werden wir es jedenfalls nicht erfahren. Baba lebt immer dann auf, wenn er mit anderen Menschen zusammen ist. Ob ihm das selbst auch aufgefallen ist? Ein unkonkreter Traum von Spontaneität. Ein dem Sucher und dem Suchenden zugeneigter Film, die immer wieder Unruhe stiftende Frage nach der Essenz des Lebens, nach dem Glück, nach der Perfektion.

Only God Forgives

Die Geschichte ist eine übliche, keine kinoungewöhnliche. Es gibt eine Mutter. Die sieht aus wie ich mir eine nordische Göttin vorstelle und blond. Sie hat zwei Söhne. Der eine hat den Vater umgebracht und ist deshalb aus den USA nach Hongkong geflohen. Dort hat er eine Minderjährige umgebracht. Deshalb ist er von Verwandten derselben getötet worden. Das war der Bruder mit dem großen Schwanz, wie die Mutter erzählt, der Tüchtige, der Starke. Der andere Bruder hat immer schon das kleinere Pfeiflein gehabt. Er gilt als der Schwächere. Er wird gespielt von Ryan Gosling mit den blauen Augen. Er ist nun selber auf dem Rachepfad für den größeren Bruder mit dem großen Schwanz. Die Mutter will zusehen, dass diese Rache ordentlich vollbracht wird.

Was macht Nicolas Winding Refn aus diesem halbarchaischen Rachestoff? Das Archaische betont er mit einer auf Tiefe und Wucht getrimmten Musik, in der auch Urhörner ertönen. Ob es ihm aber sonst auch um das Arachaische, das Töten- und Rächenwollen geht oder ob er sich mehr als ein Kinoforscher sieht, der dem aktuell häufigen Bildermassenübertrumpfmodus Hollywoods, der Temposucht und der 3D-Einsimensionalität etwas entgegensetzen will? Oder ob er gar erforschen will, ob das Kino noch einen Existenzgrund hat, das bleibt mir unklar.

Jedenfalls versucht er, den Szenen durch Verlangsamung, durch Annäherung an den Stillstand Bedeutung zu verleihen. Auch Tapetenmusterfilm, Strukturfilm, der an Tapeten hängen zu bleiben droht. Oder Refn versucht sich an einer Art Vivisektion des Banalen im Kino. Oder am Herausstreichen des Banalen an solchen Geschichten.

Das scheint ihm zu gelingen. Seltsam leer mutet sie an, diese Übung. Die Schauspieler wirken austauschbar. Es sind lediglich verschiedene Typen. Die Mutter eine nordische Hünin. Einige prototypische Asiaten. Und Ryan Gosling, von dem wie auch von den anderen Akteuren nicht mehr verlangt wird, als dass sie ganz exakt auf Position gehen können oder noch leichter für sie, sie werden statuarisch wie für eine Fotosession so eingerichtet, dass man genau die Augen sieht, oder die Augen genau nicht sieht.

Ferner erhalten sie von Nicolas Winding Refn noch die Anleitung, auf welchen Punkt genau sie schauen, besser starren sollen. Bedeutungsgewinn des Kinos durch Machtverlagerung von der Regie in Richtung Kamera, die lange Phasen in düsterem Rotlicht filmt.

Oder Refn sucht wirklich die Wahrheit im Kino, indem er versucht, die Action anzuhalten. Nur fündig wird er nicht. Das Resultat wirkt eher wie gepflegte Langeweile. Denn Rollenarbeit an den Figuren interessiert ihn nicht. Die Entwicklung von Figuren geht allenfalls von Intakt über Arm-ab bis Blutiggeschminkt. Viele Blicke in bedeutungsvoll ruhende Flure. Adjustiert sich an einen hohlen Fotoästhetizismus. Hoffnungssuche? Das Archaische in Daunen und Seide gebettet, dass es ganz zahm und lahm wird. Er fotografiert die Menschen in Momenten der Entscheidungsfindung oder des Innehaltens. Zu sehen ist nichts. Verharren der Wahrheit. Skelettkino. Kalte Behandlung und Abservierung der Darsteller. Sie auf fixe Positionen dirigieren und stehen lassen. Beleuchtungs- statt Regiekunst. Dekor statt Geheimnis.

Pacific Rim

Gegen sein Riesenroboterspektakel sind 9/11 und Kingkong Krabbelstuben, das will uns wohl Guillermo del Toro mit diesem Film vermitteln. Roboter so groß wie Hochhäuser müssen gegen Monster kämpfen, die aus den Meeren steigen.

Sonst gibt es nicht viel zu berichten über diese Massierung von Standardsituationen (man tut das Heldische für die Familie, eine Kommandozentrale beobachtet die Helden draußen, nicht zu Helden Bestimmte und ein ausrangierter Roboterkoloss vollbringen die Heldentat, sie müssen eine Brücke sprengen, später wird es heißen „they did it“, Jubel im Studio, oder „they are in“ später dann „they are out“).

Zwischendrin liebenswürdige Details, die vor lauter Monstertum das Kleinmenschliche nicht vergessen lassen, ein verlorener, roter Schuh, ein kleines Kugelspielspiel auf Metallstänglein, die Kugeln geben die Energie eines Anstoßes ungerührt weiter.

Ein Bild für eine immer noch futuristische Idee allerdings gibt es. Das ist die Konstruktion der Roboterkolosse. Die ist faszinierend. In ihrem Inneren strampeln sich zwei Helden, Pilot und Kopilot, ab. Sie sind verkabelt, ihre Gehirn- und Bewegungsströme sind mit dem Roboterkoloss verbunden und ihre Bewegungen werden auf den Koloss übertragen. Wenn so ein Roboter nun mit einem Monster aus dem Meer kämpft, so kann es ihn ganz schön durcheinanderschütteln und die ihn steuernden Piloten auch. Diesen Effekt der strampelnden Menschen, oder sie treten wie mit schweren Stiefeln in schwere Pedale, den setzt Guillermo del Toro auch zur Genüge ein.

Oder auch: eine Variante aus dem Feuerwehr-Genre, Feuerwehr-Helden, statt mit dem Feuerwehrauto gegen das Feuer mit dem Kolossroboter gegen die Monster.

Die einzelnen Figuren sind von del Toro prägnant besetzt und in ihren wenigen Texten und Aktionen entsprechend herausgestellt, die zwei verrückten Wissenschaftler beispielsweise. Oder einer der Helden mit einem unglaublich pathetischen Schmelz in der Stimme, der dadurch eher an ein Erlösungsspektakel denken lässt.

Was es noch zu sagen gibt über diesen Film, dass er sehr laut ist und man auch noch die nicht weiter ergiebige Anstrengung 3D auf sich nehmen und bezahlen muss.

Oder: eine saubere, etwas laute und zu sehr actionkompilierende- und massierende Repertoire-Übung im Kolossal-Action-SciFi-Format.