World War Z

Vielleicht sind die Macher dieses Filmes (von den Drehbuchautoren Michael Carnahan und Drew Goddard über den Regisseur Marc Forster bis zum Protagonisten Brad Pitt als Weltenretter Gerry Lane) im überbordenden Erfolgsgefühl, alles zu können und über Unmengen Geld zu verfügen, auch über die besten Stuntmen und Computeranimatoren, dass sie sich zu schnell zufrieden gaben mit der Adaption des SciFi-Romans von Max Brooks. Dass sie sich damit begnügten, zu zeigen, wie sie alles können, dass sie es können und sie können es auch: sei es stereotype Schilderung des glücklichen amerikanischen Familienlebens, Brad Pitt mit Frau und zwei Kindern oder mit Katastrophenbildern en masse über eine Zombie-Pandemie, die explosionsartig passiert, so dass man sich wundert, wie Brad Pitt mit seiner Familie überhaupt wieder hinausfindet oder mit dem Fortgang der Geschichte, der anmutet wie ein Würfelspiel: eine Position ergibt für Brad Pitt die nächste, erst muss er gefunden werden in der Katastrophe, dann muss er und seine Familie auf einem Flugzeugträger in Sicherheit gebracht werden, sicher ein großes Glück im Vergleich zu den Abermillionen von Menschen, die der Invasion nicht entkommen konnten.

Dann wird er losgeschickt werden, um über eine Station in Jerusalem, wieder ein Festmahl an Katastrophen- und Invasionsbildern, besonders die brutale Mauer, mit der Israel sich vor den Palästinensern schützen will, ist höchst ergiebig für einen Zombie-Angriff (die Palästinenser hat es schon erwischt, sie sind schon mutiert und jetzt dabei den Erzfeind zu stürmen), wie ein mittelalterliches Schloss gestürmt wird mit Menschentrauben, hier ist immerhin eine Art zeitgeschichtlicher Anspielung zu sehen; Pitt muss wieder in ein Flugzeug verbracht werden, in eines der letzten die noch starten können, bevor die Zombiemassen es daran hindern.

Auch die Katastrophen, die sich in der Luft ereignen, die sind filmisch prima realisiert. Bis Pitt schließlich in einem WHO-Forschungszentrum in Neuschottland mit einer herrlichen Bruchlandung ankommt, schwer verletzt und humpelnd mit noch einer kahlgeschorenen Frau, die er aus Israel gerettet hat; um hier an das rettende Serum gegen die Zombies ranzukommen; die nun folgende Innenraumgeschichte ist eher etwas pfadfinderhaft, wie Pitt und zwei Mitstreiter sich mit Axt und Brecheisen und Pistole in die isolierten Räume mit den zu untersuchenden Zombies vorwagen; hier wird gedehnt ohne jegliche inhaltliche oder bildnerische Gegenleistung; aber was soll’s; der Hauptwucherpunkt des Filmes dürfte nebst den prima Effekten und den schnellen Schnitten und den schönen Katastrophen Brad Pitt sein, mit seinem glatten, fast schulterlangen Haar, der einfach eine ungeheure Familiarität ausstrahlt, ihm kann man die Rettung der Welt vor dem Verderben ruhig anvertrauen; auch wenn die Figur, das meinte ich mit leichtsinnig, um wirklich einzufahren auf der Leinwand, doch einiges gründlicher hätte studiert werden müssen.

So erscheinen denn die ablesbaren und vorhersehbaren dramaturgischen Rezepte im Lichte der Vertrautheit, die das Publikum auch seinem Star sowohl von seiner Bekanntheit her als auch von seiner Rolle her entgegenbringt. Ein Abenteuer unter Freunden.

The Grandmaster

Wong Kar Wais überwältigendes Kampfkunst-Opus fotografisch von Kameramann Philippe Le Sourd in eine Orgie von Licht- und Farbspielen veredelt und durch einen asketischen Faden der Geschichte des Kung Fu in der Zeit von den 30ern bis in die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts anhand der Liebesgeschichte von Tony Leung Chiu Wai als IP Man und Ziyi Zhang als Gong Er greifbar gemacht, immer wieder angereichert mit Philosophemen über asiatische Kampfkunst vom Prinzip der 64 Hände der nordchinesischen Gong-Dynastie bis zu den 8 Füßen des Vertreters des Südens, IP Man.

Die deutsche Synchronisation orientiert sich diszipliniert an den Prinzipien des Kung Fu: waagrecht oder senkrecht.

Das Feuer braucht frisches Holz, meint der Altmeister Gong und will zum Ende seiner Ära gegen den besten Kämpfer des Südens antreten. Das ist IP Man. Der besiegt ihn. Der Austragungsort ist der „Goldene Pavillon“, ein grandios ausgestattetes Bordell, gut angesehen bei der Society. Hier findet der Kampf statt. Üblicherweise geht dabei einiges zu Bruch. Aber das Prinzip von IP Man ist, dass bei ihm nichts zu Bruch geht. Das wird er äußern, nachdem er den Altmeister besiegt hat und dessen Tochter, Gong Er, ihn zum Kampf herausfordert. Falls bei ihm was zu Bruch gehe, so gebe er sich geschlagen, mit diesen Worten eröffnet er den Kampf.

Über die nächsten Jahrzehnte werden die beiden sich immer wieder begegnen, aber der Krieg, das Schicksal treibt sie auseinander. IP Man verliert alles, muss in Hong Kong versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Betreibt eine Kung Fu Schule. Gong Er betreibt dort eine Praxis mit Naturmedizin.

Kampfkunst, Tanzkampf, Kampftanz, alle diese Elemente gehen bei den Kampfszenen harmonisch ineinander über. Die Füße bewegen sich im Kreis. Der Kampf zwischen IP Man und dem Altmeister Gong besteht aus einer filigran-choreographierten Tanz-Kampf-Szene, das einzige was in Brüche gehen soll, ist ein Stück Kuchen, was der Altmeister in der Hand hält und was IP Man brechen soll. Das wird nicht leicht sein, schon gar nicht physisch, denn der Altmeister kann seine Hand so weich machen, dass das Brot nachgibt. IP Man führt einen sensationellen, schier zirkusreifen Zauber- und Beschwörungskampf auf, bis das Brot am Ende wie von selbst abbricht. Ein magischer Kinomoment.

Das Agenten- und Kollaborateurs-Element vertritt die eher hinterhältige Figur Rasiermesser, der anfangs ein Kuomintang-Agent war und später wieder in Hongkong auftaucht. Dieser Rasiermesser hat den Vater von Gong Er getötet. Jetzt erwartet sie ihn am Bahnhof und fordert ihn heraus, was zu einer weiteren extraordinären Kampfszene führt, vor einem endlos aus dem Bahnhof ausfahrenden Zug, der mehrere Kilometer lang sein muss; aber diese kinokünstliche Länge durchaus als Methode offengelegt. Gong Er ist eine Kämpferin, die mit dem Geräusch brechender Knochen aufgewachsen ist.

Dem Film hintangestellt ist ein Zitat von Bruce Lee, dass ein echter Kampfkünstler nicht für etwas lebt, er lebt einfach. Mögen Hände und Füße am Ende doch machen, was sie wollen.
So macht vielleicht Wong Kar Wai auch einen Film an der Grenze zum Kampfmanierismus.

The Deep

Seemannsgarn aus Island, düster, verwunderlich, unglaublich, das seine Glaubwürdigkeit nicht nur dadurch reklamiert, dass es im Vorspann heißt „nach wahren Begebenheiten“, sondern, dass im Abspann die Original-Hauptfigur, die das Unwahrscheinliche durchlebt, durchlitten und überlebt hat, in einer nachgedrehten Aufnahme noch so jung wie 1984 erscheint, und offenbar immer noch im Bett liegt, wenn das kein Beweis für die Glaubwürdigkeit ist, dass ein Mensch mehrere Stunden bei Minustemperaturen im Meereswasser überleben kann, dann werde ich anfangen, den Möwen Witze zu erzählen.

Baltasar Kormákur, der mit Jón Atli Jónasson auch das Buch geschrieben hat, geht die Horror- und Wunderstory beiläufig alltäglich an. Wir befinden uns im Jahre 1984 auf der Vulkaninsel Westmänner im Atlantik. Der Vorabend einer Ausfahrt des Fischkutters Brek. Ein junger Koch wird an Bord kommen, von dem nicht sicher ist, ob er sowohl kochen als auch die Seefahrt ertragen kann, denn er kommt vom Festland.

Es ist Gulli, ein sympathischer Isländer, der schnell Palli kennen lernt, einer von der Sorte rundlicher Männer, wie sie leicht jedermanns Freund oder Liebling sein können, an denen die Weltgeschichte abzuperlen scheint, obwohl sie doch mitten drin stehen.

Es gibt eine Bar, sich einen anzutrinken, für Gulli die Gelegenheit schnell eine Frau zu küssen, in eine Schlägerei mit dem Liebhaber dieser Frau verwickelt zu werden, die Palli souverän für Gulli entscheidet. Der Rest der Nacht wird im Alkohol ertrinken, wie es sich für vulkanisländische Seemänner gehört.

Der Trawler fährt aus, das Schleppnetz hinterher. Der Filmemacher taucht schon ab und an in die Tiefe, um die es hier gehen soll. Und wer die unglaubliche Geschichte nicht verraten haben will, der darf jetzt nicht mehr weiter lesen.

Die Tiefe des Meeres sieht nicht angenehm aus, nicht einladend, eher wie ein kaltes, nasses Grab. Das Netz bleibt hängen. Mit einem leichten Zurücksetzen kommt das Schiff wieder los. Der Koch hat bereits gelernt, wie er den Kaffee für den Kapitän kochen muss, ein halbe Packung für eine Tasse. Harte Tatsachen, die das Fischerleben schreibt.

Das Netz bleibt erneut an einem Felsen hängen. Diesmal kommt das Schiff nicht los. Ganz ohne Sperenzien, ganz unspektakulär lässt der Regisseur es sinken. Innert weniger Minuten. So unspektakulär wie es wahrscheinlich in Wirklichkeit nur allzu oft vorkommt. Da ist ein Schiff, Minuten später erinnert nichts mehr daran.

Drei Männer können sich noch an einer Planke festhalten. Sie wollen das Rettungsboot lösen. Es gelingt nicht. Jetzt sind es noch zwei. Gulli und Palli. Sie sehen ein Schiff in der Ferne. Schwimmen drauf los. Die Viertelstunde oder zwanzig Minuten, die ein Mensch bei solchen Minustemperaturen im Wasser überleben kann, sind schon vorbei. Gulli schläft ins Jenseits hinüber. Auch das völlig unspektakulär, wie der Tod sicher viel öfter ist, als wir glauben.

Jetzt schwimmt noch Palli. Allein. Und schwimmt. Und sieht, wie man es oft von Leuten hört, die dem Tode nahe sind, nochmal in großem Tempo Bilder aus seinem Leben vor sich ablaufen. Bei Palli läuft dieser Bilderstrom in Super-8 ab. Und er schwimmt. Und schwimmt. Und wieder ein Schiff. Keine Chance gesehen zu werden. Der Filmemacher blendet die Luft- und Wassertemperatur ein. Da friert und schlottert einen. Vielleicht macht Kormákur hier etwas zu viel auf Realismus. Der Eindruck entsteht, die Aufnahmen seien teilweise in einem Studiobecken entstanden. Aber das Pressematerial behauptet, alles sei on location gedreht worden ohne Tricks.

Für die Anlandung von Pulli in der felsigen Gischt der Vulkaninsel muss er gut gepolstert gewesen sein. Von da schleppt er sich noch zwei Stunden bis zum ersten Haus. Jetzt wird die Geschichte noch unglaublicher. Denn die Welt will seine Geschichte nicht glauben. Weil ein Mensch so lange in kaltem Wasser nicht aushalten kann. Also wird er die wissenschaftlichen Kapazitätsstufen hochgeschubst, erst fliegen die Doctores ein zur Begutachtung des Wunders, das Robbenfett haben muss, dann nehmen sie ihm mit nach Reykjavik zu Tests und schließlich nach London. Und überall bestätigt er seine Sonderstellung. Er selbst aber hält es für das Normalste von der Welt. So wie der Regisseur seine Geschichte auch. Denn Seemannsgarn gehört so selbstverständlich zu einer Seefahrernation wie der Alkohol.

Papadopoulos & Söhne

Marcus Markou, ein in England naturalisierter Grieche, erzählt in seinem ersten Spielfilm die unschuldige Geschichte von einem ehrlichen Griechen, der es zwar in London zu einer Traumkarriere vom Imbissbuden- bis zum Großkettenbetreiber gebracht hat, und der, weil er ehrlich war und keine Gewinne in dubiose Steuersparländer transferiert hat, von der Finanzkrise hart erwischt wird.

Markou kommt vom Theater und dürfte Talent zum Geschichten erzählen haben. Er nimmt sich Zeit für die Figuren. In ruhigen Szenen wird die Familie von Harry Papadopoulos vorgestellt. Harry ist nicht der gestresste Manager. Eher wirken er und seine Kinder blasiert vor Reichtum. Man fährt Rolls Royce. Die Mutter ist vor einiger Zeit gestorben. Mrs. P hat sie ersetzt.

Die drei Kinder sind Katie, die älteste, die interessiert sich vor allem für ihren Freund, ist in der Familie schnippisch bis rotzfrech, James hat die Pubertät auch schon hinter sich, träumt von umweltfreundlichem Leben und hegt Pflanzen, während der Kleinste, Theo, nur hinter dem Computer hockt und sich für Börsenkurse interessiert, frühreifes Kerlchen.

Eben wird Harry zum „European Entrepreneur des Jahres“ gewählt. Die Familie kommt mit zu dieser festlichen Verleihung. Kaum zuhause bricht die Börsenkrise aus. Die Bank will dringend Kredite zurück, die er sich hat für ein Einkaufszentrum geben lassen, von welchem aber erst ein großer Bauplatz zu sehen ist. Die Familie wird gepfändet, alles wird ihr genommen, sie muss aus der feinen Villa raus.

Nicht gepfändet wird allerdings der kleine Fish&Chips-Shop der „3 Brüder“, den Harry einst mit seinem Bruder Spiros betrieben hat. Der dritte der Brüder ist vor langer Zeit bei einem Brand ums Leben gekommen. Unter tatkräftiger Mithilfe von Spiros überwindet sich die blasierte Familie, Hand anzulegen, den Imbiss wieder flott zu bekommen.

Parallel laufen die Gespräche mit der Finanzberatern, denn noch möchte Harry sein bisheriges Lebenswerk nicht aufgeben. Aber die gemeinsame Arbeit am Imbiss, das enge Zusammenwohnen in den kleinen Zimmern verändert die Lebenseinstellung aller Beteiligten. Die Frage ist nämlich, woran sich der Begriff Glück bemisst, ob an absoluten Umsatz- und Gewinnzahlen oder daran, ob man bei dem, was man tut, zufrieden ist. Das ist in etwa die Botschaft dieses ruhigen Filmes, in dem noch Platz für zwei Liebesgeschichten ist und bei dem das griechische Temperament und die griechische Lebensfreude, die zwar schon gelegentlich in Songs zum Ausdruck kam, erst richtig ausbrechen in der kleinen Straße vor dem Imbiss.

Sympathisch und gewinnend an dem Film ist auch die große Nähe, die Markou durch die Arbeit an den Figuren herstellt, und zu denen man sofort ein Beziehung entwickeln kann, wobei das in einer Phase des Filmes leicht ins Melodramatische abzurutschen droht.

Die Frage die explizit im Film gestellt wird: was ist Erfolg? (the joy you feel)

Laurence Anyways

Schon mit seinen Vorgängerfilmen „I killed my mother“ und „Herzensbrecher“ hat Xavier Dolan gezeigt, was für ein extraordinäres Händchen fürs Filmemachen er hat, wie genial seine Montage ist. Das Grundthema könnte vielleicht formuliert werden als ein Leiden unter der Fixiertheit der menschlichen Liebeskommunikation über die fixe Idee klarer, eindeutiger und unbeweglicher Geschlechtsidentitäten. Ein Thema, was die Menschen umtreibt, so lange sie fühlen und sehnen und lieben wollen.

Zwei Dinge, die über diesen Film von Dolan zu sagen sind. Das eine ist die herausragende Kunst der Montage, die er inzwischen so weit entwickelt und perfektioniert hat (ich könnte mir vorstellen, dass er durch die Methode Godard inspiriert ist), dass mein Eindruck bei diesem Film der war, er würde mich mehr umfangen, mehr hineinziehen als 3D es bislang je vermocht hat. Was wiederum beweisen würde, dass 3D (und es gibt schöne Erlebnisse dabei von „Findet Nemo“ über „Life of Pi“ bis „Pina“) gar nichts nützt, wenn nicht entsprechend qualitative Geschichten da sind.

Zur Montage zählt in diesem Falle nicht nur das Aneinanderpeppen von einzelnen Bildern und Szenen und der Tonspur drüber; dazu zählt schon die Bereitstellung des Materials: die Ausstattung, bis ins Detail lässt jedes Interieur meist eine stilvolle Frauensperson voller Gefühle (oder ausnahmsweise bei Fred eine deprimierte oder enttäuschte Frau) erahnen; genau so ist es mit den Kostümen, bei deren Konzeption auch die Hand von Dolan spürbar wird; erst recht, wenn in einzelnen Bildern Mäntel zu tollem Faltenwurf traumhaft sich aufblasen; dazu kommen die gespielten Szenen, die gerne dialogisch sind, die Heftigkeit, die Lebendigkeit der Inszenierung dieser Dialoge, ferner: Dialoge, die auf der Tonspur laufen, während im Bild eine Szene sich abspielt, die gerade dadurch spannend wird, dass nicht banal illustrierend gewichtet wird. Nehmen wir die Dialoge des Protagonisten Laurence mit seiner Freundin Fred anfangs des Filmes, wie das ein Hin und Her und eine Dialektik und ein Humor und ein Sich-nichts-Bieten-Lassen ist bei vollem Respekt für den anderen.

Das zweite ist die Geschichte. Es geht um Laurence. Der unterrichtet an einem College Literatur, wir erleben eine Stunde, in der es um Proust geht. Er hat schreiberische Ambitionen und lebt mit Fred zusammen, die er liebt. Eben hat er den Berthiaume-Preis gewonnen, den er selber bescheiden als Folge davon ableitet, dass wohl in einer kleinen Zeitung jemand gewesen sei, der seine Gedichte gemocht habe.

Er ist anfangs des Filmes Mitte Dreißig. Der Film wird einen Zeitraum von zehn Jahren abstecken, nach welchen er als erfolgreiche Schriftstellerin mit Verlag in Frankreich und Lesereise nach Vermont dasteht.

Eine Geschlechtsumwandlung ist der zentrale Vorgang, wobei die physiologischen Details hier wenig kümmern. Die schneidenste Pointe zu diesem Thema, zum unsicheren Umgang der Gesellschaft damit, liefert die Interviewerin, die sie in der letzten Phase des Filmes zum Gespräch gebeten hat, mit zum Teil dümmlichen Fragen, und die am Schluss auf Französisch fragt, ob sie guter Dinge sei – wäre interessant zu sehen, wie das in einer allfälligen deutschen Synchronbearbeitung bewerkstelligt würde – also die Journalistin fragt, ob die Schriftstellerin confiant sei, was, wenn man eine Frau fragt, heißen muss: confiante, wobei das -te am Ende als „T“ ausgesprochen wird, während in der männlichen Form, wenn man also einen Mann fragt, das T nicht ausgesprochen wird, die Interviewerin fragt also ob sie confian sei und fügt nach einer Schreck-Sekunde noch das T bei. Eine wunderbare Subtilität.

Nach der Preisverleihung offenbart sich Laurence seiner Freundin, dass er sich als im falschen Körper lebend fühle. Die Aussprache macht Laurence insofern frei, als die Freundin zuerst recht vernünftig reagiert und vorschlägt, mit ihm einkaufen zu gehen, was so Frauendinge sind. Dann wollen sie seine „Premiere“ als Frau feiern. Sie träumen von der Schwarzen Insel.

Eine Szene zum Atemanhalten, wie Laurence wieder in die Schule geht, sein Auftritt vor der Klasse als Frau, apart und geschmackvoll hergerichtet, nicht ein Hauch von Tuntigkeit. Eine lange Stille. Aber es kommt, wie es kommen muss, die Umwelt kann nicht umgehen mit so einer Geschlechtsumwandlung, auch wenn alle treu und herzig beteuern, ihnen komme es nur auf den Menschen an.

Denn es gibt da ein paar Paragraphen, die Transsexualität als psychische Störung auflisten und es gibt besorgte Eltern. Das führt dazu dass Dolan eine Szene wie liebloses, festgefahrenes Fernsehen inszeniert: die Versammlung der Verantwortlichen der Schule, die ihm nach viel Salbaderei den Rausschmiss aus seiner Position bekannt geben. Er schreibt nur noch wortlos „ecce home“ an die Wandtafel und geht. Was so ein Jobverlust für Folgen, auch viele, viele, positive, aber auch bis zur blutigen Nase haben kann, was für Welten sich ihm erschließen dadurch, das wird im Weiteren gezeigt.

Seine Freundin Fred, die Schauspielerin ist und tolerant reagiert hat, bekommt in der Folge allerdings Depressionen und trennt sich von Laurence; sie zieht mit einem anderen Mann zusammen nach Trois-Rivières. Laurence zieht mit einer verständnisvollen Charlotte zusammen. Im weiteren belügen sich unsere Figuren, die gedacht und sich vorgemacht haben sie seien durch die Fährnisse und das Outing geläutert, munter weiter.

Englisch für Anfänger

Ein Film wie mit einer musterhaften Schrift in einem Schulschreibheft mit einem Schriftzug wie aus indischen Schriftzeichen, die alle weich und gewunden sind, nie eine Kante, nie eine Ecke, wie ein einziges Endloszeichen. So fügt Gauri Shinde, der Autor und Regisseur, die Bilder zu einem schmeichelnden Bindfaden einer Geschichte zusammen, einer ganz einfachen Geschichte, die ihre oberflächliche Verbindlichkeit aus der ausführlichen Beschreibung der für die Geschichte nötigen Vorgänge bezieht.

Der Titel gibt das Thema vor. In Indien wird zwar offiziell Hindi gesprochen, aber das indische Englisch, das Vinglish, wie die Inder es parodistisch nennen, nimmt einen immer größeren Raum ein. Wer diese Sprache nicht beherrscht, wird zum gesellschaftlichen Außenseiter. Wer das nicht bleiben will, das ist die Moral von der über zweistündigen Geschichte, der muss Englisch lernen.

Was aber macht nun eine gegen das mittlere Lebensalter vorrückende indische Frau und Mutter, die mit einem Geschäftsmann verheiratet ist, einen Buben und ein Mädchen hat, die Englisch können oder es am Lernen sind, im Gegensatz zu ihr, die für die Familie Geld verdient, indem sie Laddu, eine Süßigkeitenspezialität, herstellt und verkauft; die aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit von ihren Kindern blöd angemacht wird, dass sie kein Englisch könne?

Ihre Schwester lebt in New York und will heiraten. Für die Hochzeit soll die indische Verwandtschaft selbstverständlich anreisen. Die Umstände wollen es, dass Familie Gdbole entscheidet, dass die Mutter, Shashi, die kein Englisch kann, allein vorausreist und einige Zeit bei ihrer Schwester in New York verbringt.

Ein paar Sätze für die Passkontrolle hat sie gelernt. Aber sie verhält sich schüchtern, stellt ihr Unwissen und die entsprechende Hilflosigkeit aus. Im Flugzeug versucht ein Sitznachbar ihr einen englischen Film zu übersetzen, was die übrigen Passagiere aufregt.

In New York fängt sie heimlich an, einen Englischkurs zu besuchen. Sie fängt an, ihre Selbständigkeit zu entdecken. Sie macht eine Entwicklung durch. Sie lockt sogar einen französischen Verehrer, Laurent, an.

Wie ihre Familie zu früh nachreist, gilt es, den Englischkurs nicht auffliegen zu lassen, andererseits die Hochzeit nicht zu gefährden, denn just am Hochzeitstag wäre der Abschlusstest der köstlichen Englischklasse. Hier gibt es auf Sicht einige Komplikationen, die aber weich und sanft gelöst werden.

Die Darstellerin der Hauptrolle der Shashi spielt Sridevi Kapoor, ein Midlife-Star, die in ihren Bewegungen viel von einer indischen Tänzerin hat, was besonders deutlich rüberkommt, wenn sie perfekt beherrschte Tanzbewegungen vorführt; so ist aber auch ihre berechtigte Szenendominanz wie die einer Primadonna, durch und durch kontrolliert, jedes Gefühl fast tanzmimisch ausgestellt und gesetzt, dadurch gelegentlich etwas sperrig wirkend, was aber der Süßlichkeit der Erzählung, die immer wieder von Gesangsnummern mit dem Refrain English-Vinglish unterbrochen wird, sogar ganz gut tut.

Die Gefahr dieses Erzählens an der bildlichen Oberfläche ist die des Abgleitens in Weich-Schwammiges; so kann etwas Draht nur hilfreich sein. Um Shisha herum bildet sich die Erzählung wie ein Kristall heraus. Eine Grundaussage solch indischen Startums scheint mir: schön zu sein, große Augen machen, schön, perfekt gekleidet, perfekt in der Bewegung, es darf keine Irritationen geben, es darf nichts Unvorhergesehenes passieren, keine Improvisation; Film wie eine strenge Choreographie; diesem Gesetz ordnet sich auch die Erzählung unter, die genau überlegt, was sie zur Illustration des thematischen Problems der Sprache alles anführen soll, welche Scherze auch, welche Ansätze zu Intoleranz, wobei gut nebenher das Thema Toleranz auch auf Schwulität ausgeweitet werden kann, denn den Teacher in New York hat gerade sein Freund sitzen lassen, was zu einer aufgeregten Diskussion über den Topos führt, selbstverständlich wird die Hauptdarstellerin, die selber unter dem Sprachdefizit leidet, das Toleranzargument so verteidigen, dass klar ist, Widerspruch wird nicht geduldet.

Ein Witz in der U-Bahn, wie Shashi von ihrem Verehrer Laurent begleitet wird und er sich lustig macht über eine fette, weiß gekleidete und mit weißer Perücke ausstaffierte Dame, sie würde aussehen wie ein Knoblauch.

In einem kurzen Kinobesuch-Ausschnitt aus „Damals in Paris“, einem Film von 1954, ist Liz Talyor zu sehen; da wird der Unterschied zwischen indischer und Hollywoodfilmstarperformance drastisch deutlich. Ein Thema, was hier sicher ausgiebig vertieft werden könnte zur Eruierung eminenter Differenzen zwischen Bollywood und Hollywood – und warum uns Hollywood denn doch immer noch näher liegt.