Quellen des Lebens

Oskar Roehlers ausführliche Saga einer kaputten Familie, die auch so tut, als sei sie ein Abriss der jüngeren deutschen Geschichte, wobei nicht ganz sicher ist, wie weit sie es vielleicht gerade nicht ist.

Kaputt, kaputt, alles ist kaputt. Die ganze Vorgeschichte der Familie von Oskar Roehler, mit der der Film anfängt. Sein Großvater Erich Freytag kehrt 1949 kaputt vom Russlandfeldzug nach Steinbach in Franken zurück. Unangemeldet, unbegleitet taucht er vorm Wohnblock auf, in dem seine Frau mit den Kindern und die verhasste, grobklotzige Marie wohnt, die mit seiner Frau ein Liebesverhältnis angefangen hat.

Der Sohn Klaus (jung gespielt von Kostja Ullmann, älter von Moritz Bleibtreu) ist schon den Kinderschuhen entwachsen. In ihm sprießen literarische Ambitionen, die von seiner Mutter durchaus unterstützt werden. Jetzt kehrt der stinkige, zerlumpte, zahnlose Vater aus dem Krieg zurück. Seine Schwester will ihn gar nicht ins Haus lassen. So wendet er eine Kriegsweisheit hinsichtlich zermürbender Belagerung des Feindes an und schlägt sein Quartier, obwohl nicht mehr Sommer ist, auf der Parkbank vorm Haus auf.

Sein Sohn bringt ihm Kaffee. Bringt ihn zu einer öffentlichen Dusche. Zivilisiert ihn ganz schnell. Die erste Begegnung des Zuschauers mit ihm war eine von hinten, die Ruhr hat ihm furchtbaren Durchfall verursacht, wovon er sich im Gebüsch zu entledigen versuchte. Die Kamera hat Roehler im Gebüsch aufgestellt. Auch beim ersten Betreten der Wohnung furzt und stinkt der Kriegsheimkehrer was das Zeugs hält.

Unter der Dusche ist „der Dreck der Jahre von ihm abgeflossen“ wie in etwa der Ich-Erzähler und spätere Enkel Robert, wie er im Film heißt, erzählt. Der Sohn kümmert sich um seinen Vater. Beschafft ihm auf dem Schwarzmarkt ein neues Gebiss. Sie besichtigen eine verrottete Fabrik. Die Porzellan-Öfen sind noch brauchbar. Wir befinden uns in Steinach im Fränkischen.

Bald schon wird der Vater zum Unternehmer. Er baut eine Gartenzwergproduktion auf. Roehler erzählt das als ob er die Geschichte an wichtigen Punkten illustriere. Krank macht den Vater schier, dass Mutter zwischen ihm und Marie schwankt, dass Marie ihn kurzentschlossen verlässt.

Auf einer Party des erwachenden Nachkriegslebens in Deutschland, wo vor allem Anwälte den Ton angeben, lernt Klaus Gisela Ellers kennen. Eine ziemlich verrückte, spontane Begegnung. Gisela ist mit einem langweiligen Juristen zusammen. Den schickt sie zum Zigaretten holen, um Klaus anquatschen zu können. Bald schon läuft ihr Gespräch über Literatur, Sartre. Die amour fou hat begonnen mit dieser höchst eigenwilligen Dame Gisela Ellers, die von Lavinia Wilson brillant und im Verlauf des fast dreistündigen Filmes immer exzentrischer gespielt wird, die eine richtig scheussliche Mutter zu Robert sein wird, die dem Kind nicht mal die Brust geben will, weil doch ihr Mann sicher keine Hängebrüste mag. Aber das ist vorgegriffen.

Gisela ist das Kind neureicher Geschäftsleute mit einer Mutter, die nur schreien kann, wenn das auch in der Wahrnehmung des Erzählers so wirkte, für den Filmzuschauer kann es irgendwann nerven, hier streiten sich Filmkunst und realistische Kindheitserinnerung oder ein gewisser Hang zum Schrillen. Die Industriellen-Eltern sind nicht einverstanden mit der Liebe ihrer Tochter zu einem lebensuntauglichen Literaten, der noch nicht mal Erfolge vorzuweisen hat. Einmal ist er im Lokalblatt erwähnt worden. Das hat seine Mutter, eine sehr zurückhaltende, Vertrauen erweckende Darbietung der sonst gerne überdrehten Meret Becker, ihm vorgelesen und war still glücklich darüber.

Klaus selbst würde sich als skeptischen Realisten bezeichnet haben. Dieses Etikett würde vielleicht auch ganz gut zu seiner Mutter passen. Die Ellers wollen nun das junge Paar auseinanderdividieren. Sie schicken die Tochter nach Wien zum Studieren. Da ist die Defloration, eine bilderbuchschöne Szene mit wenig Aufwand, merkwürdig kurz dazu, aber schon längst geschehen.

Manchmal kommen mir die Bilder aus Gründen des gewissen Aufwandkinos, was Roehler hier dank vieler fördernder Institutionen doch betreiben kann, etwa überstatisch vor. Das erinnert aber auch an die Impressionen, die Kinder vom Leben haben. Was er uns bietet, ist eher eine skizzierte, illustrierte Biographie denn eine kinospannende Geschichte, die sich auch immer wieder gerne bei einzelnen Szenen überlang aufhält, zum Beispiel, um wieder vorzugreifen, wenn der kleine Robert in die Pubertät gekommen ist und mit seiner Laura einen Spaziergang in den farnbedeckten Wald macht und sie an einen schlammigen Tümpel kommen und er wie eine Performance anfängt erst sich selber und dann seine Verehrte, er im weißen Hemd, sie im weißen Kleid, mit Schlamm einzudrecken. Also ob Roehler sich kaum von der Erinnerung trennen könne. Er hängt ihr nach. Wobei diese Art von Erinnerung womöglich ganz schön Eigenleben entwickelt.

Wienaufenthalt von Gisela, Sisi. Sie führt ein Bohème-Leben und wie sie kein Geld mehr hat, geht sie auf den Strich. Klaus besucht sie unangemeldet und nimmt sie mit. Ein Kind ist unterwegs. Das wird Robert, der Ich-Erzähler. Jetzt kaufen Giselas Eltern der jungen Familie eine schöne Wohnung. Aber diese junge Bohème-Mutter ist eine schlechte Mutter. Sie ist nur an ihrer Literatur interessiert. Klaus geht es auch nicht gut, er hat prinzipiell Schreibhemmung. Er leidet. Die Familie kann nicht zusammen bleiben. Das Kind kommt erst mal aufs Land zu den Großeltern ins Fränkische. Dort lernt der Bub das Nachbarmädchen Laura kennen. Dann kommt er zu seinem Vater nach Berlin. Wird ein Straßenkind, denn Vater kümmert sich nicht um ihn. Romantik der Verwahrlosung. Bis ihn die Industriellen-Großeltern ins Hotel Kempinski am Kuhdamm einladen. Und gleich mitnehmen. Eine zerrissene Jugend im Nachkriegsdeutschland unter lauten kaputten Leuten. Gern spiegeln die Werke von Roehler diese Zerrissenheit wieder auch als Verweigerung einer wohlig-geborgenen Erzählweise. Drei Jahre im Subproletariat in Berlin.

In der Villa der neureichen Großeltern, die Oma sagt mit lang gedehnten Endsilben Pommees Frittees, erwächst Robert zum aufsässigen Teen, besprayt die Wand mit der Parole „Freiheit für Angela Davis“.

Dann wieder zu den Gartenzwergfabrikanten-Großeltern aufs Land. Neue Beziehung zu Laura, sie abfragen und ficken wollen, sie will aber noch nicht, sie ist noch nicht bereit, so muss er auf Toilette Druck ablassen. Ständig werde ich von meiner Mutter behelligt, was wir den ganzen Tag machen. Man sieht diesem Satz an, dass das nicht alles nur naturalistisch geschrieben worden ist. Oskar Roehler ist kein Gerhard Hauptmann. Er kommt ja aus bereits künstlerisch überdrehten Kreisen. Darum ist ein Gespräch über die Entwicklung der Zentralperspektive bei Breughel ganz selbstverständlich. Genau so wie die erstaunliche Entdeckung, dass auf einem Altdorfer-Gemälde der Weiler auszumachen ist, in dem Laura wohnt.

Ausgiebig ausgebreitet wird die Internatsphase von Robert mit seinen Freunden, der eine, der sich nachts unter der Decke mit Bildern von Nazi-Großadmiral Dons befriedigt, oder der skrupellose Frauenaufreißer, gespielt von Wilson Gonzalez Ochsenknecht („dieser Song ist ein Dosenöffner“).

Auch diese Bündelung und Wertung der Erinnerung ist sicher mehr nach dem Gewicht in der Erinnerung von Roehler ausgewählt, denn nach den Gesichtspunkten einer auf Spannung gebürsteten Geschichte. Das wirkt sehr privat bis privatistisch, was zwar Sympathie erweckt, aber es könnte den Wirkungsrahmen eines solchen Filmes auch deutlich einschränken.

Dann kommt noch das rührende Nierenopfer des kriegsgeschädigten Opas an Oma. Auch wieder so eine Szene, in der Roehler sich ausgiebig suhlt.

Das ist keine Weltraumnutte, das ist deine Mutter.
Der ganz normale Wahnsinn, hämmerte seinen Kolben in die Mutter wie eine Dampfmaschine.
Berlin in den 60ern. Die Mauer.
Marx hatte recht, das ökonomische Denken bestimmt den Menschen.

Wir werden Zeuge der Geschichte einer Familie, in welcher von Anfang an der Wurm drin ist, und in die immer wieder die Weltgeschichte und die Deutsche Geschichte mit hineinspielen, in Form von Krieg oder des aufkommenden Wohlstandes ebenso wie Italienreisen. Oder der Berliner Mauer. Oder eines Willy Brandt am Fernsehen. Nicht systematisch oder nach erzählerischen Standpunkten gestrafft, sondern nach den individuell roehlerschen ausgebreitet; wie soll sich ein Mensch mit so einem kaputten Hintergrund auch den sowieso schwer erlernbaren Regeln cinematographischer Spannungserzeugung und Erzählens beugen.

Ein höchst persönliches Werk, was 60 Jahre Bundesrepublik in ein grelles Schlaglicht taucht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert