Drachenmädchen

Die Mönche des Shaolin sind in unseren Breiten ein Begriff für hohe Konzentration und die Kampfkunst Kung-Fu. Der Begriff gilt mystisch-geheimnisvoll und ist mit Verehrung beladen. Sie kommen durchaus auch mal vor in einer Dokumentation wie „Schneller als das Auge“ (Review:
https://www.filmjournalisten.de/2012/10/20/schneller-als-das-auge-im-reich-der-superzeitlupe-dvd/.) Sie und ihre Kampfkunst, die in vielen Filmen gefragt ist, werden bewundert, sind der Wissenschaft sogar zum Teil ein Rätsel (siehe den eben zitierten Film).

Inigo Westmeiers Film über die Drachenmädchen, das sind Schülerinnen auf der größten Kung-Fu-Schule der Welt in der chinesischen Provinz Henan direkt neben dem berühmten Kloster der Shaolin, nimmt allerdings keinen expliziten Bezug auf unser Bild von den Mönchen und der Kampfkunst.

Westmeier portraitiert in reeller Fernsehmanier einige der Schülerinnen unter den 35’000 Schülern dieser 1978 gegründeten Schule. Unter reeller Fernsehmanier verstehe ich, dass er erstens seine Geschichte nicht in einen größeren Rahmen steckt (zum Beispiel dass er uns erzählt, was seine Neugierde geweckt habe, vielleicht ein Film mit solcher Kampfkunst – nein, sein Verhältnis zu seinem Objekt hält er geradezu verborgen) und zweitens, dass er schön abwechselt zwischen Aufnahmen aus dem Training (das ist hart), Interviews mit dem Schuldirektor, mit einem Meister der Shaolin, mit einem Trainer, mit den Mädchen (die werden recht persönlich und reden auch mal über negative Seiten oder zeigen sich die Narben), Aufnahmen vom Alltag in der Schule nebst dem Drill (und schlafen tun sie in großen Schlafräumen und haben kaum Freizeit, früh zu Bett und früh raus) und schließlich noch Aufnahmen vom Zuhause der Mädchen, immer mit dem ausdrücklichen Hinweis etwa in 1000 Kilometern Entfernung (der Vater pflanzt Melonen an und die bringen immer weniger Ertrag; immer mehr Leute aus dem Dorf gehen in die Stadt, die Eltern sind nicht da, zeigen sich überhaupt nicht mehr zuhause, reiner Oma- und Uromaerziehungsbetrieb; oder der Vater ist Fleischer in Shanghai, das Töchterchen war ein Findelkind, er hat es nur behalten, weil es nicht geweint hat, dem Töchterchen war aber die Schule zu hart, sie ist abgehauen und hängt jetzt verwöhnt zuhause in Shanghai rum).

Statt uns mit einer Geschichte neugierig zu machen, versucht unser Filmemacher sich gleich zu Beginn mit monumentalen Aufnahmen von monumentalen Übungen von Tausenden von Schülern auf dem riesigen Exerzierplatz in Formation und auf Lautsprecher-Kommando. Er nimmt dieses Massenereignis auch monumental auf mit großer Kamerafahrt von oben; auf die Massenwirkung hin nimmt er es auf; mit solchen Aufnahmen könnt er sofort Hoffotograf in Nordkorea werden; das sind auch die einzigen Aufnahmen, die den Rahmen üblicher Fernsehreportagen sprengen – aber leider schlecht dosiert: sie kommen immer und immer wieder vor; einmal bilden hunderte von Schülern im gelben Dress das Wort Kung Fu. Was übersetzt übrigens „harte Arbeit“ bedeutet.

Das scheint mir das Problem an diesem Film, dass nicht klar wird, warum der Autor diesen Film machen wollte; und es wäre auch interessant zu erfahren, mit welcher Begründung er den Filmfernsehfonds Bayern, die FFA Filmförderungsanstalt und die Hessische Filmförderung dazu brachte, Geld für dieses von seiner Haltung her unentschieden lavierende Projekt locker zu machen. Wir erfahren nicht, was seine Faszination von dieser Schule ist.

Faktisch zeigt er uns, dass die Pädagogik eine ist, wie sie bei uns vor einigen Jahrzehnten unter anderem mit Stockschlägen vielleicht gerade noch salonfähig war. Also eine aus unserer Sicht rückständige Leistungspädagogik. Er zeigt uns, dass den Mädchen das Kantinenessen nicht schmeckt (da sind auch mal Raupen drin). Dass ein Mädchen sich hin und wieder am liebsten vom hohen Dach stürzen möchte. Wie sich die Mädchen Narben von den verschiedensten Unfällen zeigen.

Was ist die Aussage von diesem Film? Denn Befindlichkeiten von Einzelnen interessieren wenig, wenn diese nicht ausdrücklich im konsequenten Fokus stehen. Aber er geht nicht von einem Einzelschicksal aus. Er will pauschal „Drachenmädchen“ portraitieren. Er laviert zwischen kritisch (die Wehwehchen) und unkritisch (die Monumentalaufnahmen). So was kommt im Kino nicht gut. Es kommt zwar mal der Begriff der „Industrialisierung der Kampfkunst“ vor, aber Westmeier geht dem auch nicht weiter nach. Man erhält die Info, dass sich die Kinder, wenn sie es in die Elite schaffen, ein besseres Leben haben als ihre Eltern.

Den vielleicht auch den Film am genauesten charakterisierenden Satz sagt eine der Schülerinnen: wer kämpft, steht im Nebel; nur wer aus der Ruhe heraus schaut, der hat die Übersicht. Unser Dokumentarist im Krieg mit dem Equipment, dem  Chinesisch, den politischen Rücksichtnahmen, dem Gewissen und dem Zwiespalt zwischen Faszination und Ablehnung, zwischen Kino und TV und einem nicht genauer definierten Kunstanspruch.

Aber schöne Säbelnummern zeigen uns die Schüler.

Ein vages Thema könnte sein: das Kollektiv, das Individuum und die Schinderei im Hinblick auf einen eventuellen Erfolg, der ein besseres Leben ermöglicht.

Gold – Du kannst mehr als du denkst

Kino als durchaus kinotaugliche Werbeveranstaltung für den Behindertensport.

Ein Film, der dieses Handicap, dass er doch vor allem eine Good-Will-Aktion sein will, mit einem kinomäßigen Eintauchen in das Leben seiner drei Protagonisten mit dem Höhepunkt der Paralympics 2012 in London wieder wett macht.

Die Produzenten Andreas F. Schneider und Hendrik Flügge hatten ein gutes Händchen in der Auswahl sowohl ihrer Drehbuchautoren, das sind nebst Andreas F. Schneider noch Ronald Kruschak und Marc Brasse, als auch ihres Regisseurs Machael Hammon, ihres Kameramannes Marcus Winterbauer und ihrer Cutterin Katja Dringenberg (die Tom Tykwer bei seinen ersten Filmen mit einem erstklassigen Schnitt den Weg ins Business mit geebnet hat) und last not least der drei Protagonisten: der Schwimmerin Kirsten Bruhn aus Deutschland, dem Rennrollstuhlfahrer Kurt Fearnley aus Australien sowie dem Marathonläufer Henry Wanyoike aus Kenia.

Kirsten Bruhn war schon erwachsen, als ihre Beine bei einem Motorradunfall gelähmt worden sind. Henry Wanyoike war zwanzig, als er infolge eines leichten Schlaganfalles über Nacht erblindete. Kurt Fearnley kam mit nicht mehr als fragmentarischen Beinchen zur Welt.

Die Grundkonstruktion dieser Dokumentation weicht nicht ab vom gängigen Mix und Muster für Fernsehdokumentationen; es scheint aber viel sorgfältiger überlegt worden zu sein, was in den Film kommt und was nicht. Es ist auch noch erkennbar die Cliffhänger-Methode, nie zu lange bei einer Szene zu bleiben. Aber auch die hebeln die Macher dieses Filmes geschickt aus, indem sie dann doch länger beim einen oder anderen extrem schönen Landschaftsbild oder Stimmungsbild verweilen und so dem Zuschauer nicht die übliche Kurzatmigkeit ähnlicher Produkte aufzwingen.

Sanft wird man in einen dem Aufnahmevermögen schmeichelnden Rhythmus aus Interview, atmosphärischen Bildern aus der Lebewelt der Protagonisten, aus Begegnungen mit anderen Sportlern, aus familiären Informationen, aus Training, Therapie und Wettkampf hineingezogen.

Selbstverständlich darf die Queen, die die Paralympics in London höchstselbst eröffnete, nicht fehlen. Dann sind aber immer auch wieder ungewöhnlich faszinierende Bilder vom blinden Marathonläufer, der mit einem Bändchen an einen sehenden Läufer als Wegweiser angekoppelt ist, von den rasenden Männern in ihren heißen Rennrollstühlen oder von den Schwimmern auch aus Unterwassersicht dazwischen gemischt.

Ganz sparsam auch die Selbstäußerungen der Protagonisten über ihren Umgang mit der körperlichen Behinderung. Für die Schwimmerin macht die Olympiade den Motorradunfall mehr als wett. Sie war vorher schon Leistungssportlerin gewesen, kennt also bestens auch den Masochismus, die Selbstqual, der sich so ein Mensch aussetzt. No difference zu anderen Sportlern. Der Marathonmann aus Kenia, der sich sozial engagiert in seinem Township und dem es nicht leid tut, blind geworden zu sein, denn das hat seine Vision nur stärker gemacht, die Vision von einem besseren Leben für seine Mitmenschen beizutragen, zum Beispiel eine Aktion, die armen Leuten eine Kuh gibt, damit sie wirtschaftlich selbständig werden können.

Ein Film, der sich zwar explizit das Thema Behinderung vorgenommen hat, der es aber gleichzeitig durch das Interesse an den Menschen, die davon betroffen sind, wieder angenehm diskret in den Hintergrund rückt, indem ihn nämlich nicht die Betoffenheit interessiert, sondern was diese Menschen aus ihren Möglichkeiten machen, wie sie damit umgehen. Und die sind mehr als Du denkst.

Nachrichtenaktualität erhält der Film durch die Mordanklage gegen den Olympiastar Pistorius (des „ersten Millionärs des Behindertensports“ wie zu lesen war) in Südafrika.

Hänsel & Gretel: Hexenjäger

Mit strohdummem, deutschem Geld stupidisierte und brutalisierte Gebrüder-Grimm-“Weiterentwicklung“, die wirkt wie eine Werbeplattform für die Rifle Association of America besonders hinsichtlich in 3D brillant gezeigter moderner Splittergeschosse.

Dramaturgisch stimmig daran ist, dass der Macher des Filmes, ein Tommy Wirkola, das Gebot einer guten Geschichte offenbar kennt, dass nämlich das Ende einer Geschichte der Anfang einer neuen Geschichte sein können müsse. Er will jetzt die neue Geschichte nach dem Ende der guten alten Geschichte der Gebrüder Grimm zeigen.

So fängt er denn vor den Titeln mit einem kursorischen Ende des Grimmschen Märchens von Hänsel und Gretel an, wie sie die schauderhaft dargestellte Hexe in den Ofen stecken.

Aber damit war der Anteil einer guten Geschichte auch schon erledigt. Der nun folgende Zeitsprung hupft zu einer Hexenverbrennung in Augsburg. Inzwischen sind Hänsel und Gretel erwachsen geworden. Sie haben sich zu veritablen Hexenjägern entwickelt, dead or alive, es kann nicht genug geballert werden in diesem amerikanischen Grimm-Exorzismus, Amokläufe hin oder her.

Die Gesetzgebung in Washington, die sich immerhin einige Verbote und Beschränkungen bezüglich Waffenbesitzes am Ausdenken ist, dürfte da geistig bereits um Meilen weiter sein als Hollywood, was hier seinen Fundus an brutalen Action-Gags skrupellos selbst plündert. Mehr ist nicht. Mehr gibt’s nicht zu berichten.

Was folgt, es ist abgelutschte brutale Action-Kiste, die hier wahllos aus verstaubten Lagerräumen bemüht wird. Das hervorragendste Merkmal davon ist die glanzvolle 3-D-Präsentation von modernen Ballerwaffen. Das sind die einzigen Momente, in denen die Dreidimensionalität voll zur Wirkung kommt. Man fühlt sich wie auf einer Waffenmesse.

Den ganzen Märchenkram drumherum kann man getrost vergessen. Schlecht ausgewählte Schauspieler, die schlecht spielen. Hänsel ist ganz verbissen und glaubt er spielt einen Gun-Helden. Das ist zum Zuschauen grausam. Den Film schauen zu müssen, könnte im Sinne der Gebrüder Grimm eine grausame Strafe für einen bösen Buben sein. Es gibt einen Hexensabbat wie im Provinztheater. Oder es könnte folgendes passiert sein: der Lagerarbeiter aus dem Hollywood-Action-Fundus hat sich ständig vertan und ständig die falschen Requisiten und Action-Aktionen geliefert. Auch Szenenauflösung, Schnitt und Rhythmus kommen arg klumpfüßig daher. 3-D ist vollkommen überflüssig und noch dazu dilettantisch eingesetzt, schade um den Aufpreis. Eine witz- und humorlose Angelegenheit. Eine Predigt für das Faustrecht des Stärkeren. Das alles mit viel deutscher, hirnloser Geldsubvention und ertränkt in einer magenverderbenden Hans-Zimmer-Musikmayonnaise.

Die Grimmschen Märchen sind grausam. Mit diesem Film beweist Hollywood, dass es zwischen grausam und primitiv-brutal nicht unterscheiden kann.

Kalif Storch

In „Kalif Storch“, dem Märchen von Wilhelm Hauff, geht es um eine bösartige Machtübernahme. Ein hinterlistiger, machtgieriger Zauberer verkauft dem Kalifen ein Pulver, das es ihm, wenn er es schnupft, ermöglicht, sich in ein Tier seiner Wahl zu verwandeln. Für die Rückverwandlung muss er sich drei Mal gen Osten verbeugen und dabei das Wort „Mutabor“ (kommt aus dem Lateinischen und heißt „ich werde verwandelt“) sagen. Wenn er aber als Tier auch nur einmal lacht, dann wird er das Rückverwandlungswort vergessen und auf immer ein Tier bleiben.

Der Kalif und sein Wesir verwandeln sich also in Störche. Und weil sie lachen, vergessen sie das Zauberwort. Bei einer belauschten Aufschneiderei des Zauberers schnappen sie das Wort wieder auf und so sind die Weichen zu einem glücklichen Ende gestellt, zu dem auch noch die rückverwandelte Eule, die eine verzauberte Prinzessin ist, beiträgt.

Hier in diesem Film haben wir es allerdings mit einer Besonderheit, ja geradezu mit einer Rarität zu tun und das gleich im doppelten Sinne. Einerseits werfen wir einen Blick weit zurück in Zeiten lange vor dem Computer, in die Tradition des über 100jährigen Marionettentheaters Bad Tölz. Hier wird die Handlung von Kalif Storch seit urdenklichen Zeiten um eine Rahmenhandlung mit den zwei beliebten Kindertheaterfiguren Kasperl und Sepperl (Bepperl) angereichert. Die finden nämlich auf dem Dachboden beim Großvater ein geheimnisvolles Buch mit einer Zauberformel, die wenn man sie auf einem Teppich stehend spricht, einen in fremde Welten entführen kann wie in die des Kalifen Storch.

Zum anderen werfen wir diesen Blick in die Vergangenheit in modernster 3-D-Technik, wobei die hier sehr behutsam angewendet worden ist; begründet wird ihre Anwendung, dass sich die Marionetten deutlich von lediglich gezeichneten Comicfiguren unterscheiden, dass es für die Kinder einfacher ist, die verschiedenen Gefühlsvorgänge auf die Gesichter zu projizieren. Als zusätzliche Begründung für 3D wird angeführt, dass, was einleuchtet, gerade bei kleineren Kindern, die Angst, die diese gelegentlich vor Puppen haben können, abgefedert wird.

Zum Blick in die Tradition gehört auch, dass das Tonband, nach welchem die Spieler ihre traditionsreichen Marionetten traumhaft sicher bewegen, von 1969 stammt. Die Figuren der Rahmenhandlung sprechen ein Bayerisch, was für jeden der Karl Valentin oder Liesl Karstadt versteht, garantiert verständlich ist und die Figuren im Orient, die aus dem Hauffschen Biotop, die sprechen ein sorgfältiges Hochdeutsch, was in einer bemerkenswerten Mischung aus „frisch“ und „alt“ Ton um Ton aus dem Tonband mit den Jahrzehnten auf dem Buckel, heraus gearbeitet worden ist.

Die anregende Funktion, die Marionetten oder Puppen auf das sich entwickelnde Kinderhirn ausüben, die dürfte jedenfalls auch bei so einer Leinwandadaption eines Traditionsstückes, wo die an sich kleinen Marionetten richtig groß erscheinen, leinwandgroß, gegeben sein.

Garantiert werden die Kinder im Eifer des sich in die Geschichte Hineindenkens- und Sichhineinverführenlassens durch diese so anmutig sich bewegenden Figuren im entscheidenden Moment den Störchen auf der Leinwand das vergessene Wort „Mutabor“ zurufen. Was natürlich bei einer Kinovorführung wenig Effekt zeigen wird. Wobei ein solches Stück Filmtheater wiederum selbst einen Mutabor-Effekt auf das Kinderhirn ausüben dürfte: zu unterscheiden lernen zwischen Gut und Böse, Beziehungen zwischen Bildern und Wörtern und Handlungen herzustellen, Handlungen zu erkennen lernen. Ein Schritt in Richtung Kenntnis, was die Voraussetzung ist für Bemerkbarmachung und Auseinandersetzung mit der Welt der Erwachsenen.

Hyde Park am Hudson

Britischer Spleen oder Britischer Humor dürfte es sein in Gestus, Habitus und Ernst der Inszenierung eines Schlüsselromans einen reinen Schlüssellochroman daraus zu machen.

Schon der Titel ist verwegen. Für uns Mitteleuropäer zumindest ist der Begriff „Hyde Park“ von unserem Schulenglisch her mit dem „Speakers Corner“ einschlägig verbunden, jener Ecke in London, wo jeder demokratisch seine Meinung lautstark kundtun darf. Also eine höchst öffentlich-demokratische Angelegenheit.

Hier im Film aber geht es so ziemlich ums Gegenteil, um ein höchste geheime Geschichte in den Privaträumen des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die auch erst posthum aus einem Briefnachlass heraus bekannt geworden ist. Nämlich die innige Beziehung von Roosevelt zu einer entfernten Verwandten von ihm, zu Daisy, die ins Weiße Haus geholt worden ist, weil der Präsident Entspannung brauchte.

Dabei werden im Laufe des Filmes noch andere Affären erwähnt. Es gab die Sekretärin Missy. Ein wichtige Rolle am Hofe spielte auch Roosevelts Gattin Eleanor. Der Film deckt hauptsächlich den Zeitraum eines Besuches des englischen Königs King George VI ab, welcher im Film nur Bertie genannt wird, und dessen Gattin. Ferner ist da auch noch Roosevelts Mutter, die ein waches Auge auf ihren Sohn hält. Von wegen Alkohol.

Roosevelt selbst ist praktisch gelähmt. Der britische Gast ist Stotterer. So treffen sich zwei ungleich Behinderte und kommen sich nach einem Dinner in einer Vollmondnacht vertraulich näher. Das vorausgehende Dinner bleibt dank offenbar nummerierbarer Salon-Katastrophen in Erinnerung. Einmal kracht ein Dekortisch mit einem schönen Teller und einem Gebinde drauf in sich zusammen, dann stolpert eine Bedienung mitsamt Geschirr, fällt längelang auf den Boden. Der britische König stottert kurz und knapp: Nummer 2.

Nach diesem Essen ziehen sich die beiden Herren ins Kaminzimmer zurück. Hier können sie von Mensch zu Mensch reden. Und dass beide eine Behinderung haben, das verbindet, das bringt weltpolitisch Britannien und die USA am Vorabend vor dem 2. Weltkrieg näher zusammen.

Die Nacht wird immer geisterhafter und vollmondiger. Daisy geistert herum im Wald, begegnet der Widersacherin Missy, die aber Verständnis und Toleranz beweist.

Der kulinarische Höhepunkt am zweiten Tag ist ein Picknick, bei dem es, oh Graus für einen Briten, Hot Dog geben soll. Allein bis Bertie dieses Wort gestottert hat, flattern viele Bilder über die Leinwand. Denn in diesem Film hat keine Figur einen Konflikt, hat Bertie nicht den Konflikt wie bei „Kings Speech“, das Stottern für eine öffentliche Rede wegzukriegen. Hier hat er sich arrangiert damit; und gibt sich als Schauspieler redlich Mühe, das vorzuführen.

Es gibt noch ein paar treuherzige Sätze. Anfangs fällt die erstaunte Frage: warum können Politiker nicht einfach ehrlich sein. Die Schauspieler sprechen sehr deutlich. Auch erfahren wir, dass Roosevelt sich eigentlich nur nach Ruhe sehnt, um endlich seine Krimis schreiben zu können. Besonders anfangs fallen viele Großaufnahmen von Geschirrdetails auf. Und zum Picknick-Programm gehört der Auftritt eines Indianer-Baritons. Was die Royals wieder pikiert die Nase rümpfen lässt. Wenn man diese Welt, in der es noch Geheimnisse gegeben haben soll, so kennenlernt, so fällt einem nicht bei, dass man viel verpasst hätte. Der amerikanische Präsident grinst außerdem etwas arg viel und aufgesetzt souverän.

Das Buch hat Richard Nelson geschrieben, für die Regie zeichnet Roger Michell verantwortlich.

The Crime

Ein Film übers Federn lassen. Denn die beiden Cops, der Good Cop und der Bad Cop, wie der Untertitel des Filmes andeutet, sind am Ende gar gerupft. Wie das Leben so spielt. Das Leben nimmt einen her. Das Leben hinterlässt seine Spuren. Erst recht in einer verbrecherischen Stadt wie London, die hier immer wieder mit großartigen Luftaufnahmen präsentiert wird. Die beiden Hauptdarsteller-Cops sind Mitglieder einer Spezialeinheit, die die „Sweenies“ genannt werden.

Die Sweenies residieren in einer luxuriösen, topmodern eingerichteten Büroetage eines Hochhauses, wie top-in Architekten oder Designer oder ähnlich gut bezahlte, schicke Modeberufe. Jeder hat seinen Schreibtisch, der bestens mit Computern bestückt ist.

Arbeiten jedoch tun die „Sweenies“ in den Niederungen der Stadt, in Bereichen, wo die Anwendung der reinen, der korrekten Polizeikunst wenig hilfreich ist, wo man, um es vornehm auszudrücken, gelegentlich zu unkonventionellen Mitteln greifen muss.

Der ältere der beiden ist Jack, der abgebrühtere, der schamlos die Frau seines Chefs fickt. Sie selbst sagt an einer Stelle, sie sei zwar mit jenem verheiratet, aber Jack ficke besser. Sein Adlatus ist der junge, ehrgeizige Nachwuchsmann George aus Irland. Der kapiert auch schnell die ungewöhnlichen Methoden und zieht eifrig mit.

Unser Film kommt mir eher vor wie eine Schablone, wie ein Denkmodell, ein Erörtern dessen, wie es aussehen würde, wenn solche Cops endgeil in der Scheiße landen, wenn sie an einen richtig harten Mann geraten. So werden sie erst mal gewaltig in die Irre geführt. Es wird lange dauern, bis sie ihm, nachdem sie ihn schon in der erlaubten Zeit blutig verhört hatten und er wieder freigelassen worden ist, endgültig dingfest machen können.

Bis dahin werden die beiden Cops noch und nöcher Federn lassen. Hierzulande aber scheint mir ein Film mit dieser Herangehensweise, dieses plakativ, knallig-stylish auf die Leinwand-Klotzen ohne Interesse für den Grundkonflikt der Hauptfiguren doch eher was fürs Fernsehen.

An sich arbeitet Nick Love, der mit John Hodge auch das Drehbuch geschrieben hat, mit nur bekannten Versatzstücken aus dem Crime-Genre. Allerdings treibt er das Sich-Verrennen der beiden so weit, bis blutige, amoklaufartige Schießereien mitten in London daraus werden, wobei man sich fragt, ob das noch eine gute Sache sein könne.

Der Film kommt mir eher vor wie eine ausgeklügelte Schablone, wie ein mögliches Schema, gut illustriert, eines God-Cop-Bad-Cop-Movies. Die Extreme des Verrennens solch eigenwilliger Cops auslotend. Ohne sich für die Individualität der Figuren zu interessieren. Eine aufgemotzte Schablone. Luxus-Crime-Nippes aus dem Londoner Banken-Viertel mit einigen bösen, ganz bösen Serben.

Oder man könnte sich – rein spekulativ selbstverständlich – fragen, wäre die Welt ohne solche Cop-Paare, die dermaßen über die Stränge des Gesetzes schlagen, sich dabei total verausgaben und tüchtig Federn lassen, wirklich weniger sicher vor so durchtriebenen Verbrechern wie Francis Allen?

Die Bestimmer – Kinder haften für ihre Eltern

Eine putzmuntere, lebensnahe Familienkomödie hat uns hier Andy Fickman nach einem Buch von Lisa Addario und Joe Syracuse zubereitet.

Das Horsd’oeuvre wird mit Billy Cristal, der im Gegensatz zu anderen Figuren im Film einen angenehm ungelifteten Eindruck macht, als Artie Decker angerichtet. Er ist erfolgreicher Stadionsprecher in einer leicht altmodischen Crew von Stadionpersonal. Für den Musiktusch ist eine Dame am Elektropiano zuständig, die schon vor Jahrzehnten selbst bei der Heilsarmee als altmodisch gegolten hätte. Einige Spielzüge aus dem Baseball-Spiel sind zu sehen. Für uns Europäer immer erst eine Schwelle.

Aber schon wird Artie gekündigt. Neues, frisches Personal müsse her. Er steht vor einem großen, einem existentiellen Problem. Und wie es die Vorstellung von so einem Typen will, traut er sich nicht, das seiner Frau, Bette Midler, mitzuteilen. Die beiden haben eine Tochter. Die wohnt in Atlanta. Ist mit einem technologischen Tüftler verheiratet. Sein Markenprodukt ist „Rlife“, das Modell eines vollautomatisierten Hauses.

„Rlife“ gibt den Filmern Gelegenheit, viele dieser Erfindungen vorzuführen, zum Beispiel die automatische, namentlich Begrüßung, wenn einer, der registriert ist, das Haus betritt. Oder die Identifizierung neuer Gäste, wenn die noch nicht bekannt sind. Bis zur komischen Situation, aber das ist vorgegriffen, wobei logisch ist, dass sicher bald schon die altmodischen Großeltern in dieser neumodischen Welt eintreffen werden, also Oma will an einer Stelle beweisen, dass sie das Neumodische durchschaut hat, berührt die Glasoberfläche des Teetisches – und wundert sich, dass der keine Befehle entgegennimmt.

In dieser neumodischen Welt sind Alice und Phil diejenigen, die von den Automaten und ihren drei Kinder bestimmt werden. Es sind im schönsten vorpubertären Alter ein Mädchen, was schon sehr feminin-listig schauen kann, eine ganz harmloser Wuschelkopf (der aber das Wasser nicht immer halten kann) und ein schon etwas reiferer Stotterer, der geradezu auf einen Ansprech- und Unterstützerperson wie den Opa zu warten scheint.

Wie es die dialektischen Gesetze einer guter Komödie verlangen, brauchen wir einen Grund, um die Eltern mal für ein paar Tage wegzuschicken, damit die altmodischen Großeltern, zu denen kein enger Kontakt zu bestehen scheint, diese neumodische Welt durcheinanderwirbeln können. Was sie ja auch super komödiantisch spielen und mit großer Freude tun werden.

So prallen also im Hauptteil des Filmes Antithesen sowohl technischer als auch pädagogischer Natur meist frontal und ungebremst aufeinander. Die Bahnen für diese Zusammenstöße sind vorgegeben durch Familien- und Schulalltag. Es steht ein Musikvorspielen an, es steht ein Baseball-Spiel an und der Stotterer muss sich gegen eine intolerante Mehrheit von Mitschülern zur Wehr setzen.

Das Mädel, das von der Mutter zur Geigerin erzogen werden soll, muss üben, üben, üben und darf so gar keine Freude am Leben entwickeln. Die Oma sieht das anders. An der Schule darf es beim Baseballspielen keine Gewinner und keine Verlierer geben. Die Kinder sollen ohne solche Konflikte aufwachsen. Der Opa sieht das anders.

Spielstil und der Inszenierungsstil dürften recht affin zur Spielart Sitcom sein. Die Spiellust der Akteure scheint sich animierend auf die deutschen Synchronsprecher übertragen zu haben, so dass die Differenz zwischen der Stelle, wo die Großeltern einen Song in Original zum Besten geben, zur übrigen Sprecherspur kaum merklich ist. Jedenfalls nicht störend.

Subtilitäten sind nicht das, was dieses Genre auszeichnet. Darum darf auch eine Knallcharge von russischer Musiklehrerin drin vorkommen. Die Oma keift diese Knallcharge an einer Stelle an, sie würde sie so in der Luft zerreissen, dass nur noch die roten Haare und der russische Akzent von ihr übrig blieben.

Laut, knallig und widersprüchlich wie Familie nur sein kann.

3096 Tage

3096 Tage lang hatte der Entführer Priklopil Natascha Kampusch in einem eigens vorbereiteten Kellerverlies gefangen gehalten. Das ist der Stoff für diesen Film.

Erschütternd daran ist nicht das Martyrium der Natascha Kampusch, erschütternd an diesem Film ist das armselige Kinohandwerk von Drehbuch, Regie und Casting, das den cinephilen Zuschauer einem wahren Martyrium aussetzt.

Den Skandal zu entskandalisieren, das Böse banal erscheinen zu lassen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sich bequem auf die Aufregungswelle drauf zu setzen, um billig abzukassieren, ist sicher bewusst entschieden, vernünftig und verständlich, schließlich will (und kann!) Sherry Hormann, die Regisseurin,  nicht den Tarantino geben. Dass aber stattdessen Drehbuch, Regie und Casting von einem reduzierten Menschenbild, wie die filmfördernde Planwirtschaft á la Degeto es in Deutschland gerne mag, ausgehen, kommt umso erschütternder zur Geltung, als hinter der Kamera ein Groß- und Altmeister aus Hollywood steht, Michael Ballhaus. Denn ein guter Kameramann denkt immer auch an die Montage der Bilder, die das Narrativ im Zuschauerhirn erst ermöglicht und herstellt. Hier ist dieses Narrativ allerdings nicht viel mehr als eine Nachbebilderung von durch die Medien längst Bekanntem, gepaart mit bescheiden nacherfundenen Dialogen und Alltagssituationen unter durchgehendem Verzicht auf Kinospannung erst ermöglichende Analyse der Konflikte der Figuren. Die eskalieren sozusagen der Reihe nach, so besehen: Chronologie statt Dynamik, Aufzählung statt Handlungsgerüst. Die Figuren haben keine Geschichte und keinen inneren Monolog. Professionell eingeübte Darstellerintensität (Ausbrüche und dergleichen) statt Figurstudium. Vom filmerzählerischen Standpunkt aus sind die Konflikte somit unvorbereitet, weil es an Tag x oder y in den historischen Aufzeichnungen (wie der Film uns in einer gewissermaßen seine billige Methode selbstrechtfertigenden Szene glauben machen möchte) nachzulesen war, die die reale Natascha Kampusch auf Klopapier gemacht haben soll, und diese vor ihrem Peiniger in einer Schachtel mit dem Brettspiel Backgammon verstecken konnte. Sicher blitzt in einzelnen Auseinandersetzungen und Zitaten der Widerstandswille und der Geist des Opfers auf. Aber er ist nie durch die Vorstellung der Charaktereigenschaften der Figur begründet. Im Gegenteil erscheint der starke Geist eher unlogisch, denn dieses Mädchen wurde als aus zerrütteten Verhältnissen stammend eingeführt, Eltern getrennt, Vater nimmt Mädchen ins Wirtshaus mit, Mutter harter, gefühlloser Typ; in den Vorstellungsszenen liess nichts auf den wachen Geist dieses Pummelchens schließen. Der kommt später situationsbedingt ex machina. Das mag realiter auch so gewesen sein. Für eine Kinoerzählung ist das schlicht untauglich oder langweilig zu nennen. Ok, Nataschas Leitsatz, dass einer von beiden das nicht überleben werde und dass sie es sei, die überleben werde, der wird allumfassend immer wieder vorgebracht.

Zu diesen dramaturgischen Konstruktionsproblemen kommt die Widerstandslosigkeit, das Sich-Abfinden der Regie mit der angebotenen Typecasting-Klischeebesetzung, welche sie unbesehen und unbearbeitet einsetzt. Mangelndes Regiehandwerk, Desinteresse oder gar mangelndes Bewusstsein dieses Defizits mag der Grund dafür gewesen sein oder war es schlicht der Drehplan, der keine Zeit dafür gelassen hat?

Mit der ersten Szene hat der Film sein bestes Pulver bereits verschossen. Eine Szene in Schnee. Fast meditative Bilder, wie die Darstellerin der Natascha eine Skipiste runter fährt in schönen Schwüngen in traumhafter Skiparadieswelt. Der heutige und hiesige Zuschauer weiß um den ganzen Hintergrund der Figur, um ihr Schicksal. Da tut sich was im Hirn. Dieses Wissen bildet einen krassen Gegensatz zum friedlichen, erholsamen Bild. So tun sich Abgründe auf. Wie bewegt sich ein Mensch, der solches, in den Medien längst breit getretenes Martyrium erlebt hat, in der „normalen“ Welt. Hier wird Kino zum spannenden Spiel zwischen Wissen und Bildern, hier wird Kino zum Bewusstseinsaufrührer. Was in den restlichen hundert Minuten folgt, darüber dürfte jedoch schnell der Schleier des Vergessens gelegt werden.

Gewiss, das ist ein Produzenten- und ein dramaturgischer Entscheid, das Opfer als die Hauptperson zu nehmen. Immerhin ein klarer Entscheid. Wenn auch sicher ein schwieriger. Denn bei solchen Taten fasziniert den Voyeur doch mehr der Täter als das Opfer. Wie kann es soweit kommen, dass ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht, ein wie man meinen sollte normal sozialisierter Mensch, dass er einen anderen Menschen seiner Freiheit beraubt und ihn wie ein Haustier verborgen im Keller hält? Aber für den Täter interessiert sich dieser Film wenig. Die glaubten, das castingmäßig lösen und erledigen zu können. Es gibt Beispiele, wie mit so einer Figur (allerdings als Hauptperson) schon umgegangen worden ist: „M- eine Stadt sucht einen Mörder“; wie Fritz Lang hier Peter Lorre als Hans Beckert ins Visier nimmt und ihm nachspürt, wie er allein durch das Lied, was er pfeift erkennbar wird, wie er ihn charakterisierte und zeichnete, das hat auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Faszination eingebüßt; kaum zu erwarten bei dem hier bemühten Priklopil; seiner Figur wurde kaum Kinoraum gegeben.

Ein großes Problem mit dem Opfer in der Hauptperson scheint mir außerdem zu sein, dass dieses schon während der Gefangenschaft, die ja rein theoretisch und verbal und in einzelnen Szenen plötzlich auch darstellerisch als ein Existenzkampf definiert wird (dass nur einer von beiden das überleben werde), die Darstellerin bereits das Trauma spielt, was sich erst nach der traumatischen Situation einstellt, was erst im Kontakt mit der “normalen“ Welt und wenn der Überlebenskampf vorbei ist, sichtbar wird. Das scheint mir nicht sorgfältig bedacht zu sein. Wenig sorgfältig oft auch die deutsche Nachsynchronisation.

Die Billigmethode der Nachbebilderung von Aufzeichnungen und der Nacherfindung von Dialogen führt zu Sätzen wie:
„Dazu gibt’s Püree und Kuchen.“
„Und dann gibt’s noch Wurstsalat.“
„Trink aus, dann räum ich das auch noch in die Maschine.“
„Na gut, ich geh dann jetzt.“
„Hast du meine Sonnenbrille, Lippenbalsam?“

Hat jemand ein Mittel gegen solche Filme?