Sudoeste / Southwest (Filmfest München)

Film als ein Kunstwerk, als ein Werk voller Kunst, als ein kunstvolles Filmwerk. Ganz in Schwarzweiß auf breiter Leinwand. Die Körnigkeit des Filmes als Struktur, als Maserung von Holzlatten und gekalkten Wänden. Dahinter ist nichts. Es gibt hier keinen Tiefsinn zu analysieren. Aber darüber einen Ton, eine Musik, die das Werk in die Sphäre der Kunst, großartig enigmatischer Kunst erhebt. An der man sich weiden, in die man versinken kann.

Es geht um das alte Thema Frau, Hexe oder Engel, Nutte oder Mutter. Der Film spielt in fototechnisch ergiebiger Region am Meer, mit baumumsäumten Wegen am Wasser entlang und durchs Wasser hindurch, mit Salzgewinnungsfeldern, einer Windmühle, einem Pfahlhaus, in dem angeblich die Hexe wohnen soll. Diese Dame, Mulattin und recht als Zauberin aufgemacht fährt anfangs des Filmes auf einem Eselskarren zu einer toten Frau, die hochschwanger starb. (Ein Bild, was in ähnlicher Weise im neuen Film von Bela Tarr, „Das Turiner Pferd“, wichtig vorkommt).

Ist alles Fantasie? Ist alles Fantasmagorie. Ein Kette mit einer Muschel dran hielt die Tote in der Hand. Mit einer Art Mob fährt die Voodoo-Priesterin der weißgewandeten schwanger Toten über den Bauch und die Glieder.

Auf ihrer Rückfahrt hat sie plötzlich einen Säugling dabei. Fährt mit ihm zum Pfahlhaus. Ein paar Jungs nähern sich mit dem Boot dem Pfahlbau. Wette um Stärke und Mut? Jedenfalls bleibt Joao allein am Pfahlhaus zurück. Klettert die Pfähle hoch. Im Haus ist aber nicht die Hexe. Da ist Clarice, das Mädchen. Es hat eine Kette mit einer Muschel dran. Sie springt, auch dieses Motiv wird im Film noch mehrfach vorkommen, aus dem Fenster, um Joao, der gerade dabei ist, die Läden aufzureißen, zu entkommen, springt ins Boot mit dem schwarzen Hund drauf. Rudert. Der Wind treibt das Boot an den Sandstrand, hinter welchem Salz aus Meerwasser gewonnen wird. Das Mädchen kommt zu den Arbeitern. Es erzählt von seinem Hund. Die Arbeiter lachen. Denn für sie ist der Hund eine irrlichternde Erfindung des Mädchens. Darin kann sich der Zuschauer wiedererkennen, denn er fragt sich auch, was sind in diesem Film Einbildungen, wie steht es mit den Zeitebenen? Die Leinwand wehrt sich nicht dagegen, Bilder aus verschiedenen Zeitebenen durcheinander gemixt auf sie projiziert zu bekommen. Sie ermöglicht das geradezu.

Allerdings, wenn das alles rational erklärbar wäre, dann wäre es wohl keine Kunst mehr, dann könnte man gerade so gut ein wissenschaftliche Abhandlung studieren über Befindlichkeiten und Irritationen in der Frauwerdung, im Weibsein, Muttersein, Hexesein, Nuttesein, alle Varianten kommen in diese Film vor.

Die Salinenarbeiter fangen also einen Fische, interessanterweise aus dem salzigen Wasser, stecken ihn mit einem Dolch in den Boden, für den Hund des Mädchens.
Ein Film, der mit Visionen arbeitet, mit Symbolismen, der vielleicht einen Neoxistenzialismus verkünden will, der die Konstruktion unserer Realität nicht als simpel gegeben hält, unsere Realität ist vor allem Bewusstsein und das konstituiert sich aus Bildern der verschiedensten Phasen einer Geschichte.

In den anfänglichen Szenen in dem Haus mit der toten jungen Frau, wie die Voodoo-Priesterin und ihre Begleitung in den ersten Stock gehen, spielt die Begleiterin wie in einem Tschechow-Drama, brasilianischer Neoexistenzialismus mit Tschechow-Touch.
Ein Fotografiefilm, kunstvoll in jedem Augenblick.
Der Bub: Joao. Und Clarice, das Mädchen.

Momentweise erinnert der Film in seiner ruhigen Aneinandereihung der Bilder an eine japanisches Rollbild.
Satz der Mutter, der Junge soll ein gutes Leben haben, das ist doch der Wunsch aller Mütter.
Das Feuer muss natürlich auch vorkommen, der Pfahlbau brennt lichterloh. Und dann schliess die Augen, Regenprasseln.
Verlust von Ur-Beziehungen, Verlustängste.
Visionen, Imaginationen, was ist Realität, menschliche Realität? Sind es die Bilder, die unsere Realität machen?

Die Regie bei diesem meisterhaften Film führte Eduardo Nunes, das Buch schrieb er zusammen mit Guilheme Sarmiento.

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