Jasmin

Nach nochmaliger Betrachtung: wenn der Film als das angeboten würde, was er meiner Meinung nach ist: nämlich eine Art inszeniertes Reading eines Drehbuches über eine Exploration (bei dem die Darstellerinnen allerdings den Text gut auswendig gelernt hatten), dann könnte er unter Umständen durchaus ein speziell interessiertes Publikum finden.

Readings werden immer mal wieder öffentlich veranstaltet, um Drehbücher auf ihre Tauglichkeit hin zu testen, ihre Tauglichkeit hinsichtlich der Dialoge und der durch diese sichtbar werdenden Charaktere, auch um Schauspieler im Hinblick auf eine Rolle zu testen. Das kann eine ganz aufregende Sache sein, denn es geht um die Erkundung eines neuen Textes. Ein Reading kann unter Umständen eine Vorstufe zu einer Inszenierung, zur Realisierung eines Filmes sein.

Der Film „Jasmin“ von Jan Fehse nach einem Drehbuch von Christian Lyra mit den Protagonistinnen Anne Schäfer als Patientin und Wiebke Puls als Psychiatrin führt uns sachlich, von den Schauspielerinnen mit angenehmen Stimmen und in großer Kollegialität vorgetragen, den Vorgang einer Exploration vor. Die Exploration dürfte auch reell recherchiert worden sein, sie erweckt jedenfalls nicht den Eindruck der freien Erfundenheit.

Eine Exploration versucht anhand von Fragen an die Geschichte eines Beschuldigten von früher Kindheit bis zum Erwerbsleben zu erkunden, wie es zu einer bestimmten (gesetzeswidrigen) Tat kommen konnte.

Allerdings dachten die Macher des Filmes wohl nicht im geringsten daran, „nur“ eine Art Reading zu veranstalten, sondern versuchten, einen „richtigen“ Kinofilm zu machen, waren aber hinsichtlich der Ansprüche an ein solch anspruchsvolles Projekt vermutlich zeitlich wie finanziell nicht genügend ausgestattet.

So kam es zu Aktionen, die den Spielfilmgedanken gegenüber dem Readinggedanken zu betonen versuchen, die leider vom roten Faden der Exploration durchaus ablenken: der Ehrgeiz der Kostümabteilung (die allerdings bei IMDb unter den Credits nicht zu finden ist), die Damen in jeder Szene anders anzuziehen (das wäre gerade der Reiz des offengelegten Readings, dass die Garderobe nicht wechselt); der Ehrgeiz des Make-up Departments (Kirsten Rottner laut IMDb), der Schauspielerin Puls einmal die Frisur streng nach hinten gekämmt, einmal offen zu lassen; die Choreographie der Wanderung und Leerung und Füllung von Tassen, Gläsern und Wasserflasche auf dem Tisch, an dem die Exploration stattfindet; das Hüpfen der Kameras in die etwas nähere, die etwas weitere Position oder auch der Stillstand der Zeit anhand stetig gleicher Schatten an der Wand bei Tagesszenen. Oder man achtet darauf, wie der Filmemacher sich bemüht, wenn die Patientin einmal das Fenster aufmacht, um zu rauchen, dann gleich eine geballte Ladung Stadt-Lärm hereinschwallen zu lassen mit Martinshorn und Hupen; was soll diese Zutat von Realismus bei einer Veranstaltung, die substanziell nicht über ein Reading hinauskommt, was bei einer so schwierigen Materie nicht wenig wäre. So entblösst sich Regie als blosse Zierrat-Bereitstellerin.

Um ein solch reines Sprechkino verbindlich in Szene zu setzen, wäre es für den Regisseur Jan Fehse sicherlich hilfreich gewesen, vorher ein paar Filme von Huillet- Straub genauer zu studieren, denn bei „Jasmin“ bleibt vieles viel zu wenig dezidiert, viel zu nett; versucht sich in realismustümelnder „Natürlichkeit“ und bleibt dadurch im Beliebigen stecken; ich denke schon, dass bei so einem Thema eine erkennbare Stellungname von Regie und Buch vorhanden sein sollte. Kaum zu erwarten, dass Fehse/Lyra lediglich einen als mehr oder weniger unterhaltsam intendierten Lehrfilm über Exploration machen wollten. Weil wenn dem so wäre, wozu ihn dann ins Kino bringen?

Der Gedankenfaden, der Gedankenfaden, von dem wird hier stark mit „Inszenierungs“-Mätzchen abgelenkt, siehe weiter oben. Wenn man sich schon auf eine solche Vereinfachung der Inszenierung beschränkt, warum dann nicht dem Gedanken und seinem Fortgang radikal den Vorrang geben, das Reading radikal offenlegen?

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