Blutzbrüdaz

Kein deutsches Studienratskino. Kein deutsches Kopfkino. Kein typisch deutsches Förderkino. Deutsches Kino, was sich nicht zu schön ist, ein paar elementare Dinge des cinematographischen Geschichtenerzählens zu beherzigen, deutsches Kino, was nicht nur ein Thema hat, ein ganz ernstes sogar!, sondern auch ausgezeichneten Hauptdarsteller, um den herum sich eine weitere Riege glaubwürdiger, die Story vorwärtstreibender Figuren versammelt. Oder man könnte auch sagen, es geht um Kunst, Charakter und Kommerz. Otis, der Protagonist, versus Sony, den miesen Antagonisten.

Um das Haaar in der Suppe vorwegzunehmen. An einer Stelle kam dann doch so ein typischer Fernsehdialog, Otiz, der Protagonist kommt in den verwüsteten Plattenladen und fragt, „was ist denn hier los“. Dabei kann sich der Zuschauer sowieso denken, was los war, denn das Drehbuch zum Film scheint mir sorgfältig geschrieben von Nicholas J. Schofild und Jan Ehlert und klug, dass der Regisseur, Özgür Yildirim, es andere hat schreiben lassen (denn damit hatte ich bei seinem erste Langfilm „Chiko“ so meine lieben Probleme). Die Dialoge ordnen sich fugenlos der Geschichte unter, ergeben die Geschichte wie von selbst. Dadurch wirkt sie als eine einfache Geschichte. Und sie hat ein klares Thema. Es geht um Authentizität, um das Sich-Nicht-Verbiegen-Lassen, sich Nicht-Verarschen-Lassen im Musikbusiness. Das zeigen die Macher des Filmes schön und sinnlich.

Das Vehikel für das Thema ist das Rapper-Duo Blutzbrüdaz mit Sido als Otis, dem Protagonisten des Filmes und seinem Partner Bobby Tight als Eddie-Gangster. Die Geschichte ist die: die beiden rappen aus Bedürfnis heraus, indem sie ihre beschissene Lebenslage rhyhtmisch in Worte fassen. Sie sind am Boden, haben nicht mal Geld für einen Disco-Eintritt (so müssen sie denn eine Scheibe zum Clo einschlagen, um überhaupt auf die Bühne zu gelangen bei einem Wettbewerb, aber sie werden gleich wieder rausbugsiert) geschweige denn verfügen sie über die Mittel, ein Demoband zu machen.

Der Film erzählt, wie sie dank Hilfe von guten und weniger guten Menschen es schaffen; allerdings wird ganz oben, bei Sony die Luft dünn, das Mitreden gewaltig, ein abgefuckter Sony-Manager, der die Firma hier in kein gutes Licht taucht, will dem Duo in etwa die Substanz austreiben, um damit Geld zu scheffeln. Das lässt Otis nicht mit sich machen, er steigt aus. Er nutzt die Kunst aber weiterhin, so wie sie ursprünglich sein Bedürfnis war, in erster Linie um sich und seine Situation auszudrücken, die nicht blendend war, nachdem er bei Sony ausgestiegen ist, weil die den karrieristischeren (und auch leichter zu gängelnden) Eddie-Gangster gepusht haben. Die Geschichte wäre natürlich keine schöne Geschichte, wenn er als Aufrechter es dann nicht doch schaffen würde. Doch die Autoren bauen immer genügend Hindernisse mit plausiblen Charakteren ein, die das das Gelingen ans Ende einer angenehmen Spielfilmlänge verschieben.

Der Film ist für mich eine Überraschung. Erstens hatte ich vorher keinen Lärm drüber gehört. Und beim unvoreingenommenen Schauen hatte ich anfänglich durchaus Bedenken. Einerseits kam mir die Sorgfalt, mit der hier gearbeitet worden ist, doch sehr unrapperisch vor. Es gibt sehr früh eine Szene in der U-Bahn. Da sitzen sich die beiden Rapper gegenüber und üben Texte. Immer wieder entdeckt die Kamera „zufälligerweise“ genau die Objekte, die ihr Text behandelt, sei es in Form von Personen oder Plakaten. Das könnte selbst ein kleiner Rapclip sein. Aber dann wird er schnell zu einer Geschichte, die man ernst nehmen muss, der zu folgen Spaß macht, sie haben auch schöne Locations und natürlich immer wieder Rapper-Nummern dazwischen.

Die Schauspieler scheinen mir nicht nur sehr passend ausgesucht, sondern spielen auch überzeugend innerhalb des Freiraumes, den die einzelnen Rollen in ihrer Funktion innerhalb der Erzählung haben. Am meisten Sympathie wird Sido einheimsen, der sich treu bleibt. Und wir wollen jetzt nicht so weit gehen, das als Kalkül abzutun, immerhin bietet er einem Weltkonzern namentlich die Stirn. Dann Claudia Eisinger, die die taffe Assistentin Jasmin vom Sony-Macher spielt, die mehr Macht hat als ihre Funktion vermuten lässt, die aber die Entwicklung um die Blutzbrüdaz wach verfolgt und bei der die widerliche Behandlung der Band durch Sony auch das Fass zum Überlaufen bringt. Allerdings muss man sich da einiges selber denken, weil sich alles um Sido dreht. Trotzdem ist der Umschwung bei ihr so, dass man ihn sich merken kann und er zur Profilierung der Figur beiträgt.

Fazit: ein Film in einer universellen Erzählweise, wie sie in Deutschland nicht mehr möglich schien mit einem Protagonisten, der Empathie erweckt; ein Schritt in die richtige Richtung. Und vielleicht einer der ersten, die endlich mal das Ausländerthema nicht als Thema behandeln. Es ist die Geschichte von Menschen in Deutschland, die nach oben kommen wollen und dabei mit den Machenschaften von Konzernen wie Sony ins Gehege kommen, weil sie sich nicht verbiegen lassen wollen

Der Film spielt im Berlin anno 2000. Und wenn ein Automat, weil er nicht funktioniert und man draufhaut in der U-Bahn, Geld ausspuckt bis die U-Bahn-Wache kommt, die abgerissenen Rapper zu verhaften, dann spukt der jede Menge schöner alter Markstücke aus, die man sich trotz Eurokrise nicht zurückwünscht.
Seinen Weg gehen, das ist das aufrechte Motto von Sido/Otis. Und damit vielleicht auch der Weg zu den Ursprüngen des Geschichtenerzählens, denn wer seinen Weg geht, der hat was zu erzählen. Somit kleine Gegenposition zu den Heerscharen deutscher Filmemacher, die sich durchs Fördersystem von ihrem Weg abbringen lassen.

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