Anduni – Fremde Heimat

Worin die Regisseurin Samira Radsi ziemlich frei war, das scheint mir das fast improvisiserte Inszenesetzen von armenischem Familienleben, sei es beim Essen oder in der armenischen Schneiderei in Köln oder bei einem Traueranlass oder auch bei einer Tanzszene, bei der auch noch Bilder à la Stream of Consciousness anderer Lebenssituationen von Belinda, der Hauptdarstellerin, hineinfließen. Auch die Kamera von Matthias Fleischer nahm sich allein schon in der Farbgestaltung die Freiheit heraus, die Bilder in ihrer Farbgebung entfernt an jene Bilder aus Atom Egoyans Film über den armenischen Kalender erinnern zu lassen. Keine scharfen Gegensätze, keine knalligen Farben. Eher ein Ineinanderfließen erdiger Töne. Auch die Freiheit einer Überblendung eines Portraits der Protagonistin vor einem Wohnblock zur Position vor dem Reihenhaus auf dem Lande. Die Freiheit kleiner Bewusstseinssprünge. Auch die Möglichkeiten, die Regen auf eine fahrendes Auto und Lichter im Hintergrund ergeben, hat die Kamera genutzt. Sanfte Farben sollen ein sanftes Armenierbild zeichnen.

Frei ist der Film auch in der Besetzung von Tilo Prückner als armenischem Onkel mit Papagei. Er spielt genau diese etwas überdeutliche Spielart, wie sie Erst-Generations-Immigranten noch von zuhause aus (commediamässig) kennen dürften. Sehr überzeugend, aber irgendwie zu unnuanciert, er wollte auf keinen Fall seinen eingeübten Figur-Stil durchbrechen.

Weniger frei schien mir die Autorin, Karin Kaci, vielleicht zu bemüht zu „zeigen“ dass Armenier zwar Türken, aber nicht Muslime, sondern Christen sind. Die Message kommt schon sehr prononciert rüber. Das geht auf Kosten der Spielhandlung.

Liebe auf grüner Wiese vor dem Ararat. Das ist die Rahmenhandlung.
Filmbeginn: eine Frau, Fremdkörper in der Landschaft, in Ledermantel, Hose, steigt eine grüne Wiese hinan. Zielbewusst und man weiß nicht wohin und weshalb. Am Schluss des Filmes, sie ist inzwischen aus Deutschland, wo der Hauptteil des Filmes spielt, nach Armenien gereist, nach Eriwan in der Türkei, geht dieser Gang weiter. Dann taucht ihr Freund Florian Lukas als Manuel aus dem unendlichen Grün auf und sie darf fragen. “Was machen wir jetzt?“ und er „ich weiß nicht“, dann umarmen sie sich.
Am Schluss ist sie im roten Kleid.
Eine Männerstimme spricht Voice-Over: Der Ort, der verbindet, was nie verbunden worden ist, wir haben ihn nie gefunden.
„Anduni“, Fremde Heimat, das Lied wird später gesungen. Es erinnert die Armenier an die Heimat. Soviel zum Titel. Ein Heimatsuchefilm vielleicht.

Nach dem Vorspannbild in Armenien platzt der Film schnell in eine armenische Verlobungsfeier im Rheinland hinein; da geht’s hoch her und schon kommt der erste Kulturunterschied-Kommentar, der Onkel meint, man könne nicht in den Garten hinaus, weil sonst heißt es wieder, die Ausländer, die Türken.

Unsere Hauptdarstellerin heißt Belinda, ist Armenierin und lebt in und bei Köln.
Sie zieht gerade mit ihrem Freund Manuel in eine eigene Wohnung am Sudermannplatz in Köln. Sie kommen gar nicht richtig dazu, sie einzuräumen. Manuel möchte sich an einer Kunstakademie einschreiben, hat dann aber nicht den Mumm gehabt, den Raum zu betreten, in dem das Vorstellungsgespräch hätte stattfinden sollen, irgendetwas ist unklar an ihm, auch, was ihn an Belinda fasziniert, wird nicht so richtig deutlich. So entsteht der Eindruck, es musste halt, um das Problem der kulturellen Unterschiede zu zeigen, ein Deutscher als Freund her. Denn die Tanten von Belinda wollen diese unbedingt an einen Armenier verkuppeln. Solche Filme, die tun dann immer so, das ist so ein Schwachpunkt, als gäbe es solche Dinge nur im Orient, nur bei Türken etc. Wobei das bei uns genau so bekannt ist, wenn auch weniger streng vielleicht, aber Familienzerwürfnisse wegen unpassender, ungenehmer Partnerwahl gibt’s hier zur Genüge; nur macht keiner einen Film darüber.

Zum familiären Background von Belinda ist noch zu sagen, dass der Vater gestorben ist; er lag tot vor dem Hauseingang, wie Belinda eben von zuhause ausziehen wollte. Er war ein Trinker, der hier nie Fuß fassen konnte, der nichts fertig gebracht hat. Das ist so eine Fernsehdramaturgie-Geschichte, die das später die Mutter erzählen lässt. Infobroschüre über Immigranten statt Spielhandlung.

Der Tod zieht die Beerdigung nach sich und ermöglicht es der Autorin, kleine Machenschaften unter Verwandten aufzuzeigen. Belinda solle sich an den Onkel wenden, der könne Deutsch, der kenne sich mit Renten aus. Und es erstaunt dann doch, wie brav Belinda, die als eine selbstständige, selbstbewusste Zweitgenerations-Immigrantin eingeführt wurde, die ein zwar sehr spitzes, aber ziemlich perfektes Hochdeutsch spricht, dass sie ohne jeden Widerstand zu diesem Onkel geht, der viel über deutsche Renten wisse, aber nichts über türkische. Er weiß wenigstens, was Belinda alles beschaffen muss, um für sich die Waisen-Rente beantragen zu können, denn sie bezieht als Studentin, später wird die Rede von einem Alibistudium sein, Bafög. Eintauchen in die Wirren deutscher Renten- und Studienfördersysteme. Eine der Tanten meint dagegen, sie solle doch in ihrer Schneiderei arbeiten. Auch das tut sie widerstandslos; das passt nicht so ganz zu ihrer Emanzipiertheit. Man sieht sie am Bügeltisch. Die Frauen wollen sie verkuppeln, schicken sie mit Tee in einen Laden gegenüber; dort soll sie zwei perfekt deutsch sprechende Armenier kennen lernen. Später erst merken die Verkupplerinenn, dass der schon eine Freundin hat und dass auch Belinda einen deutschen Freund hat.

Ein Film, der sich als Thema das Herausstellen kultureller Unterschiede vorgenommen hat. Sätze wie „die Armenier können nichts als essen“ werden eingebracht unbesehen ihres Einflußes auf Spannung und Fortgang der Spielhandlung. Das Buch hat sich leider zu sehr auf das Herausstellen von Differenzen, kulturellen, traditionellen konzentriert, ist quasi ein Aufruf – ein Aufmerksammach-Film, ein Appellativ-Film, wobei er doch mehr erreicht hätte, wenn er zum Beispiel die Liebe zwischen Belinda und Manuel in den zentralen Handlungs- und Konfliktzusammenhang gestellt hätte, wie sie sich kennen gelernt haben, welche Bilder sie von einander haben, und wie die kulturellen Unterschiede die Konflikte fördern und hochschrauben.

So ist man überrascht, was ist mit Manuel los, dass er nicht reingeht zum Vorstellungsgespräch in der Akademie. Oder die Einladung bei seinen intellektuellen Eltern, die den kulturellen Unterschied elitär überspielen und der Vater erzählt ellenlang von einer Improvisation von einem berühmten Jazzer auf einer Tonlage, Miles Davis.

Natürlich haben die Macherinnen versucht, gegen die Klischees zu bürsten. Das wirkt ab und an sehr akademisch. Sie müssen dann extra sagen, dass sie Armenier sind und Türken. Immerhin, das Kulinarische ist nicht akademisch, das opulente armenische Essen.
Und dann muss extra thematisiert werden, dass jetzt die Mutter allein wohnt und die Tochter auszieht und auch allein wohnt.

Die Szene, die das Ausländerthema am subtilsten und gleichzeitig anrührendsten streift, verdanken wir Peter Millowitsch: er spielt einen Beamten. Bei der Besprechung in seinem Büro geht es um die Rentenbeantragung und von wie weit her Belinda und ihre Angehörigen kommen. Da wird Millowitsch nachdenklich und sagt, das verstehe er (der Kölner), seine Frau komme aus Detmold.

Es erfolgt eine plötzliche Armenienreise von Belinda.

Manuel hat eine Hose in der Näherei von Belindas Tante zur Reparatur gegeben. Dabei erfährt der Zuschauer, wie er die Hose abholen will, dass er Schuhmann heißt; und ihm wird mitgeteilt, Belinda sei nach Armenien gefahren, um einen Mann zu heiraten. Dann folgt die Schlusssszene in Armenien.

2 Gedanken zu „Anduni – Fremde Heimat“

  1. Lieber Stefe,
    gestern habe ich den Film Anduni im Kino gesehen und wollte heute mal schauen, was so im Internet über ihn geschrieben wird. Dein Artikel hat mich ganz schön überrascht!! Er enthält einige Fehler in der Nacherzählung der Filmhandlung, woraus ich schließe, dass du dir den Film nicht mit voller Aufmerksamkeit angeschaut hast. Daher frage ich mich, wie kannst du dann so ein Urteil fällen? Natürlich hätte man den Film anderes aufziehen können, natürlich die Liebesgeschichte in den Mittelpunkt stellen können, aber dann wäre es ja ein Liebesfilm geworden und kein Film über das Suchen und Finden der Heimat und der Wurzeln.
    Jedem seine Meinung, aber bitte keine falschen Fakten kundtun!
    Mfg, Mara

  2. Hallo Mara,
    danke für das Feedback. Ich würde jetzt allerdings freundlich um konkrete Aufklärung über die „Fehler in der Nacherzählung“ bitten und ob die von Relevanz für meine Betrachtungen zu diesem Film sind. Mein Haupteinwand ist doch der, dass der Film das Armeniertum zu sehr thematisiert und dass ich meine, dadurch wird er nur einen kleinen Wirkungsgrad erreichen; wenn aber das Thema Armeniertum in eine universell erzählte Geschichte, beispielsweise die Liebesgeschichte verpackt wäre, dass er dann, und zwar ohne thematische Abstriche, ein viel breiteres Publikum erreichen könnte.

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