Bildbeschreibung kann im Kunstgeschichtsstudium mitunter eine sehr dröge Angelegenheit sein; da geht es um Strukturen, Schraffuren und Konturen, um Lichtsetzungen und Schattierungen, um Faltenwurf und Teints, um Kompositionen, Architektur und Größenverhältnisse, um Querverweise zu anderen Werken des Meisters oder zu anderen Schulen, anderen Stilrichtungen, anderen Epochen. Es handelt sich dabei um ein Fach, was mit dem Anspruch großer Präzision an die Arbeit geht. Bei dem vorliegenden Film handelt es sich um nichts anderes, als um eine ganz spezielle Art der Bildbeschreibung und ich wage zu behaupten, aus dem Blickwinkel eines exklusiven, genialen Bildfälschers oder Bildkopierers oder auch Bildfantasierers. Der aber auch nur in einem sehr entlegenen Winkel unserer Gesellschaft und Wissenschaft aufzustöbern sein dürfte.
Lech Majewski heißt unser genialer Bildner, Bildbeschreiber, Bildnachzeichner, Bildfantasierer, Bildkopierer oder Bildschwadronierer. Erst in der letzten Einstellung des Filmes wird klar, dass er uns doch einen überraschenden Blick auf das Bild „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel ermöglicht hat und dass die Fälschung fast noch schöner oder zumindest klarer und deutlicher ist als das Original, dass die Fälschung unseren Blick auf das Original zwangsläufig verändert. Der Film: Majewski inszeniert um das Bruegel-Bild herum lauter Szenen, also das Vorher und/oder Nachher dessen, was Bruegel festgehalten hat. Am Drehbuch hat neben ihm auch Michael Francis Gibson mitgeschrieben.
Leider ist Majewski kein genialer Fälscher von Kinospannung. Der Leitfaden, an dem er das Bild für uns in einzelnen Szenen nachstellt und aufzuschlüsseln versucht, wird nie so richtig klar. Man weiß in keinem Moment, wo im Gemälde man sich gerade aufhält. Das führt zwingend zu einem Übergewicht der Statik vor der Kinospannung. Eine Folge davon dürfte sein, dass der Film weitgehend nur von einem Spezialpublikum gouttiert werden dürfte. Vielleicht war das Bewusstsein dieses Sachverhaltes der Grund für Majewski, eine teils schier schmerzhafte Tonkulisse aufzubauen, um ja gehört, ja wahrgenommen zu werden. Wenn in diesem Film Kinder plärren, da möchte man sich Ohrstöpsel reinsteckenen, genauso wenn ein Knecht mit hervorstehender Schamkapsel die unendliche Treppe in dem ausgehöhlten Fels, auf der die das Gemälde dominierende Mühle steht, hinaufsteigt mit seinen Klompen, so knallt das, als wolle Gott das jüngste Gericht ankündigen. Da sollen Müllers unten noch frühstücken.
Was Majewski an Bildmaterial allerdings herstellt und zubereitet, das ist eine gewaltige Leistung. Wie er mit dem Hintergrund umgeht, der immer gemäldehaft erscheint, wie er die Menschengruppen – auf dem Gemälde sollen um die 500 Figuren zu sehen sein – inszeniert, wie gemäldehaft und doch nie erstarrt oder tot.
Einige der Figuren auf dem Gemälde und aus der Geschichte um das Gemälde herum hat Majewski herausgehoben. Es ist der Maler selber, der mit Rutger Hauer weltprominent besetzt ist und von dem wir Hintergründe über den Auftrag zum Gemälde und wie Bruegel vorgegangen ist erfahren. Der Auftraggeber war der Antwerpener Kaufmann und Kunstsammler Nicolas Jonghelinck, der wird von Michael York gespielt, der es laut IMDb auf eine stattliche Liste von 157 Filmtiteln gebracht hat. Er hat einmal einen kleinen Monolog, in dem er über die politische Lage in Holland um 1564 rum räsoniert, dass ihm gar nicht gefällt, was die roten Reiter, spanische Söldner, im Land so anrichten. Ein horribles Beispiel aus dem Gemälde inszeniert Majewski nach, wie die roten Reiter einen Landmann jagen, ihn festnehmen, auf ein Rad binden und dieses oben an einer baumhohen Stange befestigen und den dermaßen Gefolterten den hungrigen Aasvögeln zum Fraß vorsetzen. Weltprominent ist auch Charlotte Rampling. Sie spielt innerhalb des Gemäldes die Maria. Sie darf ihre Blicke kontrolliert und technisch perfekt heben und senken und im Rund schweifen lassen. Sie hat auch etwas Voice-Over-Text. Sie erlebt das Thema des Originalgemäldes hautnah: von der Gefangennahme Christi über die Kreuzigung, die Kreuzabnahme, die Grablegung, die Beweinung; die ganzen Stationen des Kreuzweges und dessen abendländisch-christlicher Ikonographie.
Während auf dem Bruegel-Bild sozusagen nur Stills zu finden sind, so erfindet Majewski die Filmsequenzen drum herum. Die Kinder toben und ihre Schreie schmerzen die Ohren, so ungefiltert hat er die Töne aufgenommen; genauso wie die der brachial ratternden Windmühle. Spielmänner spielen auf. Das Volk tanzt Reigen. Die Menschen stehen auf aus ihren Betten. Bei Müllers wird gefrühstückt. Es sind Illustrationsversuche zu den Bruegelschen Skizzen, die dieser aus seiner Zeit durch Beobachtung des Lebens im Lande genommen habe.
Ein Junge liegt im Gras und ist fasziniert von einem herrlich tauperlenden Spinnennetz mit Spinne drin. Später sitzt der Maler vor eben diesem Spinnennetz, findet eine schwarze Spinne und entwickelt um das System des Netzes seine Philosophie von der Konstruktion des Bildes. Später wird er seinem Auftraggeber erklären, warum er nicht möchte, dass die Hauptszene im Gemälde gleich der erste Augenfang sein soll. Der Müller auf seiner Felsenmühle, der dominiere das Ganze. Bei ihm gehe es um das Brot. Die Kinder balgen sich im Bett. Ein Landmann macht unterwegs eine junge Frau an. Ein Schwert muss gehärtet und geschärft werden. Der Mühlstein mahlt Korn. Ein Kalb muss verfrachtet werden. Unterwegs gibts ein Picknick. Unterwegs an diesem lieblichen Bergabhang ist sowieso viel los. Ein Artist bläst ins Horn. Die roten Reiter betreiben Menschenhatz, Verräter- oder Renegatenhatz und –verfolgung. Auch die Reiter trampeln wie Donner über das liebliche Stück Bergweg, direkt in ein wehrloses Mikro.
Viele historisch intersssante Details gibt’s von der Windmühle. „The Great Miller of Heaven“. Gänse schnattern, auch dieses Schnattern knallt brutal ins Mikro und über die Kinolautsprecher an unsere Ohren, dass man schier flüchten möchte. Stelzengänger sind anzutreffen auf dem lustigen Bergweg. Ein Toter wird in einen Leichensack eingenäht. Vom Baum des Lebens spricht der Maler, vom Kreis des Lebens, in dem sich die Stadt befinde, vom Todeskreis, vom Golgatha, dem Todesberg, dem Todeskreis. Bildkompositionserklärungen. Dann hat Majewski wieder so eine Frauenstimme, die nach Sehnsucht, Ewigkeit und Unerfüllbarkeit singt, dazwischen. Ein junger Mann mit Armbrust taucht ab und an auf. Die Fußwaschung wird gezeigt. Es gibt auch Bilder aus dem Inneren einer Kirche.
Majewski scheint ein besessener Kunstimitator zu sein. Über den liesse sich vielleicht ein spannender Film machen. Im Hintergrund wird das Abendmahl gefeiert. Dann gibt es eine Art magische Szene: die Flügel des Windrades stehen still. Der Müller steht davor, gibt ein Zeichen wie mit einer Fernbedienung und das Windrad fängt an, sich zu drehen.
Christus wird das Kleid vom Leib gerissen.
Die Peitschen der Quäler knallen, dass einem das Trommelfell schier bersten möchte.
Aber wer den Film gesehen hat, der kann was erzählen.