Hell

Ein Benzin- und Wasserbeschaffungsmovie. In den total verstaubten Parcours, der ein schön gestyltes Setting abgibt, sind einige Hindernisse eingebaut.

Dieser Film basiert vermutlich auf einem grundlegenden Missverständnis darüber, was Genre sei, was Genre soll. Tim Fehlbaum hat mit großer Gründlichkeit, mit viel Aufwand, mit Akribie und auch mit viel Talent versucht einen apokalyptischen Genrefilm zu machen: ein paar Menschen schlagen sich auf einer verdörrten Endzeit-Erde durch in Richtung Berge in der Hoffnung, dort noch Wasser zu finden.

Aber das Problem fängt schon mit dem Titel an. Nehmen wir die Bedeutung „Hölle“ für hell. Was gäbe es da nicht für faszinierende Zusammenhänge, „Die Hölle, das sind die anderen“ hieß es bei Sartre in „Huis clos“. Aber die Zeiten des Existenzialismus sind vorbei. Heute interessiert offenbar einen Filmemacher im Zusammenhang mit so einem kulturhistorisch belasteten Wort, man könnte auch Dantes Göttliche Komödie erwähnen, nur noch das Styling, geschäftliche Ausmarcherei von Tauschgeschäften um Benzin oder Beseitigen eine Barriere auf einem Holzweg (das wäre dann als der Hinweis auf Heidegger zu nehmen). Vielleicht ein Spiegelbild über die kulturelle Verkommenheit unserer Zeit, das wäre der Versuch eines Rettungssatzes für „Hell“.

Nach diesem kurzen Vorweg-Exkurs zurück zum Genre-Begriff, dem in diesem Film gehuldigt werden soll. Wenn ich das richtig verstanden habe, so hat sich das Genre-Kino daraus entwickelt, dass die Macher mit den verschiedenartigsten Mitteln von Suspense oder Thrill, Befremdlichkeit oder Ungeheuerlichkeit, Zotigkeit und Zombietum den Zuschauer aus den Denk- und Fühlbahnen des Alltags rausreißen und ihm den Kitzel variierender Gefühle von Abscheu über Ekel oder Lust und Schaulust, Schauder, Wohligkeit, Angst und Schrecken einjagen wollten. Weil die Zuschauer das als eine Entspannung oder Abwechslung, als ein Abenteuer oder eine Seelenmassage empfinden sollten, darum sind sie denn auch ins Kino gegangen und haben dafür Eintritt bezahlt. Die Macher haben die Genre-Filme als um des Geldverdienens willen hergestellt. Bestes Beispiel dafür ist Roger Corman, der am letzten Filmfest in München zu Besuch war und der gerade auch auf diese finanzielle Seite seiner Produkte immer wieder hingewiesen hat.

In supergeförderten Filmland Deutschland muss nun aber kein Filmemacher sehr darauf achten, dass die Zuschauer auch ins Kino strömen. Er hat andere Hemmnisse zu überwinden. Er muss erst Filmförderer und Fernsehredakteure überzeugen. Dabei mag hier was echt Gruseliges, echt Genrehaftes passiert sein. Denn äußerlich sah das Drehbuch sehr nach einem Begriff von Genre aus und im Treatment stand das bestimmt auch dick und deutlich. Diese gebildeten  Beurteiler glaubten also nun, weil es ihnen ja auch als solches schmackhaft gemacht worden war, in diesem Drehbuch viel Genrehaftes gefunden zu haben, vermutlich auch: vollkommen verstaubte Landschaften, Menschen, die kulturell und zivilisatorisch an ihre Grenzen stoßen, die ums Überleben kämpfen, die fast zu Mumien oder Zombies mutieren, Endzeitvisionen. Aha, das sind doch Bilder, wie wir sie in vielen Filmen, die als Genre galten, gesehen haben. Aha, das ist gut, was der Tim Fehlbaum hier macht. Endlich einer, der sich traut, Genre zu machen. Das ist sensationell. Und vor lauter Begeisterung haben die Zombies von der Förderung und dem Fernsehen die zum Teil bescheuerten Dialoge und auch Szenenerfindungen glatt übersehen oder sie mit genrehaft verwechselt, weil ja dann Staub über alles geblasen werden soll, haben übersehen, dass das Wesentliche für eine spannende Geschichte fehlt, die den Zuschauer fesseln und Empathie oder andere Gefühle erzeugen würde. So hat sich also das Genre- oder Zombiehafte hinter die Kulissen der Produktion verschoben, bis es auf die Leinwand kam, hat es sich längst verflüchtigt, wollte nicht mehr haftbar gemacht werden, war noch zu besichtigen als eine zwar großartig gemalte, aber leider unspannende Genrelandschaft, als ein Memento qua Design.

Hier ist statt Genre ein Genremuseum zu begutachten. So was wird allerdings kaum Zuschauer in die Kinos locken. Weil die Geschichte miserabel exponiert ist. Weil die Figuren nicht spannungsfördernd konstruiert worden sind. Weil es an so vielen Stellen an Plausibilität mangelt. Vielleicht weil es an diesen ganzen deutschen Filmhochschulen nicht einen tauglichen Drehbuchprofessor gibt, der den Studenten sagen kann, was eine spannende Geschichte ausmacht. Vielleicht sollte man alle diese gut bestallten, lebenslänglichen Drehbuchprofessoren ins Wüstenland von „Hell“ schicken, damit sie endlich wieder was fühlen, was empfinden, wach werden. Denn die einzigen, die in Deutschland Filme machen, die Kassenerfolge sind, das sind praktisch alles Leute, die nie an deutschen Filmhochschulen waren: Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Simon Verhoeven, Bully Herbig. Florian David Fitz. Das sind die Leute, die die echten Genrefilme machen hierzulande, auch wenn es sich überwiegend um das eher seichtere Beziehungskistengenre handelt.

Wenn dann aber ein Hochschulabgänger versucht Genre zu machen, eine Abschlussarbeit, die benotet wird womöglich, – schon sowas: ein Film als Schularbeit, da stehen einem doch die Haare zu Berge und dann noch ein Genrefilm, das kann nicht gut gehen, ist auch nicht gut gegangen, das wirkt fast nur noch tragikomisch: denn ein ungeheurer Aufwand, eine Riesenarbeit, ein enormer Einsatz, viel Talent in Ausstattung, Kamera, Ton, Postproduktion, Effekte, ein rasanter Schnitt, Material und Kosten stecken dahinter, soviel Manpower. Und wirkt alles doch nur wie ein Zitat von Genre, wie die Mumie des Genres.

Tim Fehlbaum wollte seinen Professoren, Förderern und Redakteuren zeigen, dass er, dass das deutsche Kino Genre kann. Und da wohl die meisten auch nicht so genau wissen, was denn Genre sei, so sind sie vor Begeisterung alle gleich in Ohnmacht gefallen und haben den neuen Genre-Messias ausgerufen, auch das wieder ein echt genrewürdiger Vorgang.

Das Genre sozusagen auf die Metaebene gehoben, sich dabei verhoben. Hier scheint das Missverständnis das zu sein, dass angenommen wurde, das Genre sei eine Kunst und müsse als solche präpariert und dargeboten werden. Der Genre-Effekt dabei ist gleich nullo. Oder es ist ein neues Genre produziert worden: dasjenige des TV-filmfördertauglichen, deutschen Hochschul-Kunst-Genres, das ein reines Insider-Aufgeil-Genre bleiben wird und in der freien Wildbahn Kino keinerlei Überlebenschancen hat. Eine Art Puppe, die mittels Förderer-Voodoo-Zauber zum Genre werden soll.

Auch das Genre muss als Fundament seiner Story eine Glaubwürdigkeit haben. Hier hapert es damit schon von Anfang an. Denn der Film spielt 2016 und der Temperaturanstieg auf der Erde soll innert dieser 5 Jahre von heute bis dorthin 10 Grad betragen. Das ist vollkommen unglaubwürdig. Das ist aberwitztig. Hätte Fehlbaum den Film um ein paar Jahrzehnte nach hinten verschoben, dann wäre das schon prognosennäher hingekommen. Dann wäre wenigstens die Ausgangssitution absolut glaubwürdig gewesen. Aber dann wären vielleicht nette kleine Verstaubungsübungen nicht mehr unbedingt machbar gewesen: die SZ unter Staub, die „JA“-Milch unter Staub, denn wer weiß, ob es diese Gegenstände in einigen Jahrzehnten noch gibt.

Zur Story: es gibt zwar das Ziel der Protagonisten, Wasser zu finden und Vögel können ihnen den Weg weisen. Trotzdem kommt mir der Film vor wie eine Andeinanderreihung von Kurzfilmen als Genreübungen, die zwar ein gewisses Ziel, nämlich das Wasser zu finden haben. Aber wie die sich hier im Detail verlieren, da steigt man leider sehr schnell aus, weil die Geschichte menschlicher Konflikte im Dunkeln bleibt.

Wenn dieses Elementare an Geschichte fehlt, dann passiert immer das Gleiche. Die Filmemacher erfinden ein paar Figuren, die, man weiß nicht mal aus welchen Gründen gerade die es sind, die zu einer Fluchtgemeinschaft werden, und nun in einem Auto mit ausgehendem Benzin, fliehen.

Für Probleme, wie die Benzinbeschaffung, hier gegen Pfirsiche in staubigen Konservendosen, werden lange Dialoge von einer Gründlichkeit geschrieben und geführt, dass man denken könnte, hier sollen beispielhafte Verkaufsgespräche vorgetragen werden zur Personalschulung: wieviel Pfirsichdosen gegen wieviel Benzin oder besser noch einen Keilriemen, um den Motor wieder zum Laufen zu bringen und dafür darf der Tankwart dann mit auf die Flucht. Eine solche Sachverhalts- und Ausmarchszene ist nun gerade konträr zu einer Szene, die Spannung erzeugen soll, die eine Geschichte vorwärts bringen soll, wenn sie so breit ausgewalzt ist und gleichzeitig nichts Neues über die Charaktere verrät.

Die Story ertrinkt andauernd in der Genresuppe, ist vollkommen fixiert auf die Einstaubung von Gegenständen und Schauspielergesichtern und scheint dabei vergessen zu haben, was sie denn nun mit diesen Leuten und in dieser Extremsituation erzählen will. Es gibt kein Thema. Es gibt kaum Hinweise darauf, was die Figuren für eine Beziehung zueinander haben und wie diese Beziehung sich entwickelt und dabei auch die Geschichte vorwärts bringt.

Einen Beweis dafür liefern sonderbar pseudo-fachliche Dialoge, wie etwa beim erwähnten Benzin-Pfirsich-Handel; ferner auch, dass die Schauspieler alle dieses absolut hygienisch reine Fernsehhochdeutsch sprechen und die Schauspieler, die nach undurchsichtigen Kriterien und vor allem wiederum diese ohne jede Rücksicht aufs Genre, das ist wirklich doppelt komisch, ausgewählt worden sind, nach feinen Namen vielleicht und nicht nach ihrem Background, ob sie fürs Genre vielleicht ein Faible hätten, denn in diesem Falle hätten sie möglicherweise durchaus was zur Rettung des Filmes beitragen können. Casting-Voodoo.

Dann so Sätze: da überlegt sich einer, wieviele Kilometer das Auto noch schafft, als ob wir uns in einer Doku befinden, das ist krass antigenre würde ich sagen. Und dann fragt der andere, woher er das wisse. Es geht um Gründlichkeit und Plausibilität? Dazu fehlt es im übrigen auch an einer Lokalisierung der Handlung. Wo fahren die denn ständig hin, oder Fritz Erhardt würde fragen, wo fahren sie denn? Offenbar ins Genreland. (Da waren die Amerikaner letztes Jahr klüger, die mussten ganz einfach den Kontinent überqueren).

Dann immer wieder diese Fernsehdialoge, die Frage, was einer mache, was los sei, dieses „schau mal dort, 3 Kilometer von uns sehe ich ein Feuer“, Erklärtexte, Text anstatt Kino.

Es ist Genre auf die Schlachtbank, die Schulbank gebracht. Kriegt dafür von den gscheiten Professoren der Hochschule, die offenbar auch nicht in der Lage sind, einige grundsätzliche Dinge zu unterscheiden, bestimmt Bestnoten und dann lassen sie ihn im Kinoalltag auf die Schnauze fallen und das Wetter ist daran schuld. Weil leider keiner von den Professoren oder den Filmförderern oder den Fernsehredakteuren, die grünes Licht für diesen Genre-Dreh gegeben haben, die grundsätzlichen Konstruktionsfehler, die schon beim Lesen des Buches ersichtlich gewesen sein müssten, bemerkt haben will. Aber dafür werden sie ja auch regelmässig und gut bezahlt.

„Wir haben alle Glück gehabt“, sagt ein Darsteller an einer Stelle. Wieso? Klar, im Film selber, weil sie wohl überlebt haben, denn später sagt eine Schauspielerin, die Mutter habe kein Glück gehabt, will sagen, die ist in einem nicht näher identifizierbaren Ereignis umgekommen. Ähnliches dürfte in Bälde von diesem Film gesagt werden.

Will dieser Genrefilm etwas über menschliche Einsamkeit erzählen? Oder über das Tier im Menschen? Das erschließt sich mir leider nicht, welche menschliche Geschichte der Film erzählen will. Sowas wäre an sich leicht zu rekapitulieren, wenn es gut erzählt worden ist, wenn nicht, so habe ich jedenfalls meine helle Mühe, den Faden nachzuerzählen. Der bleibt hier so wischiwaschi, einige Menschen sind auf der Flucht und erleben dies und das. Und zählen Erbsen, mal so kursorisch zusammen gefasst.

Der eine hat mal von einer Verhaue, weil es andere Böse gibt, einen verbundenen Arm. Zum Glück hat der Sanitätskasten die Katastrophe überlebt. Dann fragt die andere: „hat es weh getan?“ Und er antwortet: „klar“. Was will uns so ein Dialog erzählen? Was denkt sich der Kinozuschauer dabei?

Eine weitere Aktion, bei der der Film sich total vertüdelt: an einer Stelle auf einem Waldweg gibt es eine Art Barriere, eine Metallgestell quer über die Strasse, und was die für einen konkreten Aufwand betreiben, die zu beseitigen, da könnte man glatt ein kleines Brevier zur Beseitigung von querstehenden Eisenhindernissen auf wenig befahrenen Waldwegen draus machen. Ein Genre wird daraus bestimmt nicht. Und eine spannende Spielhandlung, wenn dann auch noch das ermahnende Wort fällt, das Mädel am Steuer solle aber nicht abhauen, garantiert nicht. Der Fernsehdialog in seiner absurden Konkretheit als Bremsklotz für die Handlung. Und wie der Motor an und aus zu machen sei. Sind wir in der Fahrschule, will der Filmemacher sich für Schulungsfilme für Fahrschulen empfehlen. Da lacht das Genre sich kaputt, wenn einer in der Bemühung ums Genre sich so ins genrefeindliche, technische Detail verliert.  Solche Szenen belegen eindrücklich, in welch geistig dürftiger Zeit wir leben. Aber der Professor hat halt gemeint, immer schön konkret bleiben.

An einer Stelle löst jemand ein Kreuzworträtsel, geht’s noch? Sommer auf Balkonien oder wie? Oder dann finden sie ein Parfüm, schöner Gruss aus Paris, so beliebig, oder Golfschläger, gut, das könnte lustig sein, aber dann schießt einer damit eine leere Konservendose weg.
Wie dann eine Gegengruppe auftaucht, die im Wald ein Feuer machen und Menschen gefangen halten, auch eine Frau aus unserer Hauptgruppe, da wird’s dann vollends zur Pfadfinder-Genre-Übung.

Das Genre verschult und dehydriert und vorsätzlich unter Staub begraben. Dagegen helfen nun weder hyperventilierende noch rennende Akteure.

Fehlbaum hat, wage ich zu behaupten, überhaupt kein Thema, er hat nur eine Grundsituation; Menschen auf der Flucht. Die illustriert er mit imposantem Aufwand und viel, viel Staub.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert