Giulia geht abends nie aus

Das ist Kino, Kino, Kino. Es umfängt einen, es umgarnt einen, es nebelt einen ein, es macht einen leicht, wie das Wasser im Schwimmbad (einer der Spielorte in diesem Film). Es betört einen, es raubt einem die Sinne. Kino pur. Am liebsten möchte man das Geheimnis der Zubereitung dieses Kinos von Giuseppe Piccioni erfahren. Die IMDb gibt nur bekannt, dass seit seinem letzten Film 5 Jahre vergangen sind und in derselben Internet Movie Data base taucht auch nicht eine Fernsehproduktion von ihm auf. Um es mal von außen zu betrachten.

Aber was erzählt uns dieses Kino? Doch gar nichts so Ungewöhnliches. Eine Dichter-, besser eine Autorenstory. Die Figuren, die dem Autor im Kopf rumtanzen, die seinen Realitätssinn leicht verwischen, so wie dieses Kino den Zuschauer bezaubert, und die sich selbständig machen.

Der Autor Giulio Montani, gespielt von Valerio Mastandrea, ist auf dem Wege des Erfolges. Die Gerüchte verdichten sich, dass er nah dran sei, einen wichtigen Literaturpreis zu gewinnen, den Premio Letterario MALASPINA. Das ist der ganz lockere äußere Handlungsfaden, um den sich die verschiedenen Deskriptionen seiner Befindlicheiten und Fantasien ranken.

Ein Dichter kann ganz schön viel Fantasie entwickeln. So viel, dass er manchmal zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann, soviel, dass seine erfunden Figuren – man kann vielleicht Ähnlichkeit mit der einen oder anderen Figur aus seinem Umkreis feststellen – sich selbständig machen und in einer Szene sogar sich zum Gruppenbild um sein Manuskript aufstellen und verwundert oder grinsend oder wie auch immer kommentierend darin lesen.

Da dürfte dem Dichter der Zugriff dann vollends abhanden gekommen sein. Um diesen ganz dünnen und nie penetranten Handlungsfaden, der so unscheinbar wie ein Untertext mitgeliefert wird, weil so einer zum gekonnten Geschichtenerzählen nun mal gehört, arrangiert Piccioni das Portrait, eines Mannes, der Schreiben durchaus als Handwerk versteht, der vielleicht auch gar nicht zu originell ist, der andauernd die Erfahrung macht, dass Leute, die sein Buch loben, es gar nicht zu Ende gelesen haben. Bis vielleicht auf den altklugen Filippo, den Sohn von Giulia, der Schwimmlehrerin, der Titelfigur, die er im Schwimmbad kennenlernt, der Schwimmlehrerin seiner Tochter, die nur dem Vater zuliebe den Schwimmunterricht nimmt.

Bei einem Gespräch mit seiner Tochter Constanza wird klar, dass sie keine Lust aufs Schwimmen hat. Allein wie dieses Schwimmbecken, die Bahnen, das Wasser, die Lehrerin und ihre Besprechung vom Beckenrand aus mit der Tochter vom beobachtenden Vater aus gesehen und inszeniert ist, ist geheimnisvoll schön und ungewöhnlich. Jedenfalls findet der Vater, wenn die Stunden schon bezahlt sind, so könne er ja den Schwimmunterricht nehmen, den seine Tochter nicht mag. Schon eine verrückte Vater- oder Dichterfigur. Denn er kann nicht mal schwimmen. Und ich glaube nicht dass ihm gleich bewusst ist, dass ihn die Schwimmlehrerin, das ist Giulia, die abends nie ausgeht, fasziniert. Oder er tapst einfach so, vollkommen ohne dazwischengeschaltete Reflexe der Begründung in die Beziehung rein. Wie Autoren möglicherweise sind, gar sein müssen.

Die dichterischen Fantasien des Autors Montani sind eher bescheidener Natur, aber auch wie dieses Bescheidene hier geschildert wird, ist umwerfend. Eine wirklich saudoofe Geschichte einer Gogo-Tänzerin und Nutte, die dem Pater beichtet, dass sie es für Geld mache. Und die ihn verlockt. Er solle doch auch mal kommen. Dieses Holzgesicht von Pater macht sich dann tatsächlich auf ins Rotlichtmilieu.

Etwas 80 – 90 Prozent des Filmes hält Piccioni den Zuschauer in dieser faszinierenden Schwebe zwischen Kino, Realität, Literatur, Erfindung, packt den Zuschauer in eine traumhafte Watte und nur damit dieser nicht abhebt, muss die Geschichte zum Ende hin ziemlich nüchtern geerdet werden. Dagegen aber fährt Piccioni dick Pralinen auf, die der Autor im Film mit seiner schwimmunlustigen Tochter ziemlich gierig verschlingt. Da muss ich noch mehr drüber lachen, wenn ich mir das jetzt vergegenwärtige.

Fast eher belustigt, wie Piccioni die Machenschaften und spießigen Geschäftigkeiten und Geschäftspraktiken um einen eminent wichtigen Literaturpreis herum schildert. Zum Beispiel die Privatlesung in einer Villa voller alter, selbstredend reicher, weißhaariger Erbinnen, Damen, Witwen, die alle vor der Lesung noch beim Coiffeur waren. Der Regisseur und das Publikum im Kino können amused sein. Auch die Begründung für die Lesung, die die Literaturagentin gibt, die Lesung bei dem Damenkränzchen, die sei halt wichtig, entbehrt jeglicher Rationalität. Liebenswert bösartig, wie Piccioni diese Dame von Literatur-Agentin schildert, die schamlos mit den Hoffnungen ihrer Klienten spielt und schachert.

Ein älteres Ehepaar verkörpert die Literaturfans. Meist sind sie im Lift anzutreffen und ihre Funktion ist einzig die, die Hoffnung unsseres Autors auf den Preis anzuheizen. Grandios und kostbar, weil so einfach und treffend. Man könnte sagen: das richtige Maß zwischen Kunst und Realität, zwischen Ernst und Satire getroffen. Wie bei einem Bassin, das genau so randvoll ist, dass immer wieder ein bisschen was drüberschwappt, aber nie wird der Zuschauer nass dabei, steht aber kurz vor dem köstlichen Schock, es könnte ihn gleich selbst erwischen.

Vielleicht ein Film für Menschen, die Literatur und Kunst zugetan sind, die diesen aber nicht bedingungslos verfallen sind, die sie als das nehmen, was sie im besten Fall sein können, eine Bereicherung, eine Würze für das Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Die drei Musketiere

Achtbare Familienunterhaltung, die man allein schon dafür mögen muss, da es sich um ein rein europäisches Produkt handelt. Dem man aber leider in jeder einzelnen Szene die Mühe ansieht, alles richtig und perfekt und toll und aufwändig erscheinen zu lassen und niemandem weh zu tun, noch jemanden zu schocken mit einer Enthauptung der bösen M’Lady de Winter beispielsweise. Das hat allerdings den Nachteil, dass eher der Eindruck von Szenenfolgen aus einem sprechenden Wachsfigurenkabinett denn der eines mitreißenden Spielfilmes entsteht. Denn in dem Riesenaufwand an Kostüm, Ausstattung und noch im Visier von zwei 3D-Kameras, bleibt den Akteuren wenig Spielraum. So stellt die Regie sie denn am liebsten dekorativ hin (wenn sie nicht gerade kämpfen müssen) und lässt sie in skizzenhaften Dialogen die wichtigsten Informationen zur Geschichte sprechen, ohne den Figuren grosses Eigenleben oder Kontur zu verleihen, ohne fesselnde Beziehungen entstehen zu lassen, die den Zuschauer bannen und fordern könnten.

Aufwand und Logistik zur Produktion dieses Filmes waren enorm. Lassen wir die Produktion sprechen: 2500 Komparsen, 710’000 Flugmeilen (24 mal um die Erde; von den zwei Flug-Schiffen, die irgendwie mit Jules Vernes konkurrieren zu scheinen wollen zu schweigen und die einen überdimensionalen Teil des Filmes einnehmen), 260’000 Liter Wasser zur Flutung eines künstlichen Kanals, 1’800 Marmorkacheln, 180 wasserspeiende Masken, 2’000 Schriftrollen, 800 Waffen, 3’000 Meter grüner Stoff, 55 Drehtage, 350 Personen im festen Filmteam und Abermillionen von Förderung aus allerlei staatlichen Fördertöpfen (und mit noch vielen imponierenden Zahlen mehr brüstet sich das Pressematerial und liefert damit wohl unabsichtlich effiziente Munition gegen den Film selbst); aber davon, dass auch nur ein Eimerchen Geist auf die Produktion verwendet worden wäre, die Geschichte heutespannend und aktuell zu gestalten, das Museale in heutige Seh- und Darstellungsgewohnheiten umzuwandeln, im Heutemenschen Seelensaiten zum Vibrieren zu bringen, davon ist leider kein Wort zu finden.

Der Plot ist einfach: die drei berühmten Musketiere wollen mit Hilfe des Provinzbengels d’Artagnan den franzöischen Knabenkönig vor den Intrigen des Kardinals Richelieu und damit Frankreich vor einem Krieg mit England bewahren.

Dass es sich bei vielen Darstellern um Stars handelt, fällt vor erdrückendem Aufwand und Statik der Szenen kaum auf. Mit No-Name-Darstellern hätte man vermutlich ohne grosse Qualitätsverluste ein ähnliches Resultat einfahren und dabei sehr viel Kosten sparen können und vielleicht wäre sogar ein Hauch Spontaneität und Urwüchsigkeit in die Produktion eingeflossen.

Ohngeachtet dessen: was war die Idee hinter dieser Unternehmung? Wollte man einfach einen grossen Film machen, einen Aufwandfilm, einen Logistikfilm? Wozu? Wollte man in Punkto schiere Grösse den Amerikanern endlich Paroli bieten?

Mir scheint vor lauter Zahlen und Litern und Metern und Komparsen und Luftschiffen und Kacheln und Stars das Wichtigste am Kino unter die Räder gekommen zu sein: eine spannende Geschichte zu erzählen. Vielleicht hat der grosse Geldberg, der hinter der Produktion stand, die Macher ängstlich und übervorsichtig gemacht und sie haben sich auf den verheerenden, vermeintlich risikolosesten gemeinsamen Nenner geeinigt: ein schmuckes Wachsfigurenkabinett, das ordentlich seine Texte und Kämpfe bietet, in ansprechendem Ambiente zu präsentieren. Geld scheint hier dem Kino-Geist den Schneid abgekauft zu haben.  Milchzahnkino.

Mein bester Feind

Vielleicht einer der angenehmsten Nazizeitfilme überhaupt. Weil er sich weder in Schuldgefühlen oder schlechtem Gewissen suhlt noch versucht den Faschomechanismus analytisch freizulegen. Weil für ihn die Nazizeit lediglich ein Beispiel oder eine Möglichkeit abgibt, den Satz zu illustrieren: Was Du nicht willst, dass man Dir nicht tu, das füg auch keinem andern zu.

Dafür hat Wolfgang Murnberger, der Regisseur und Autor, mit diesem Stoff eine wunderbare Vorlage und erzählt das launig in einem gut verfolgbaren Nacheinanderkino mit Besetzungen, die überzeugen und mit Figurzeichnungen, die auf tiefere Menschenkenntnis schließen lässt, die davon ausgeht, dass jeder Mensch an seiner Postion aus seinen Gründen, natürlich können die sehr böse, sehr opportunistisch sein, handelt, Gründe, die für den Einzelnen zwingend oder angebracht scheinen, und dass kaum ein Mensch da ist, um nur böse und zerstörerisch zu sein.

Die Geschichte, die als Vorwand für dieses Spiel mit den Vorurteilen und der moralischen Konsequenz des eigenen Handels dient, ist folgende: Die jüdische Familie Kaufmann betreibt seit langem in Wien eine Kunsthandlung. Die Filiale in Nürnberg ist bereits Opfer der Nazirandale geworden. Die Familie besteht aus Vater, Udo Samel, Mutter, Marthe Keller, und Sohn Viktor, Moritz Bleibtreu, eine durchwegs grossartige Besetzung ebenso Rudi Smekal, gespielt von Georg Friedrich, mit dem Viktor dick befreundet ist, dem Sohn „einer Hausbesorgerin“, wie es mehrfach abschätzig heißt.

Die beiden Freunde kennen sich lange und sind unzertrennlich. Zu den beiden gehört noch Lena. Sie ist mit Viktor verlobt. Die Geschichte wird sich darum drehen, wie Lena sich verhalten wird, nachdem Smekal fanatischer Nazi geworden ist, die Kaufmanns ins KZ gebracht hat und Lena haben möchte.

Eine Geschichte mit einem so enormen Konfliktpotential braucht einen extremen Anlass, damit sie ins Rollen kommen kann. Hier ist der Katalysator eine bisher unbekannte Radierung von Michelangelo, die Moses darstellt. Eine kunsthistorische Sensation..

Die sei vor einiger Zeit in die Hände von Kunsthändler Jakob Kaufmann geraten. Die Radierung liessen die Kaufmanns von Rudi, der als Nichtjude unverdächtig war, in einem Koffer von Nürnberg nach Wien schmuggeln. In einer trauten Stunde hat Viktor seinem Freund Rudi gezeigt, wo und wie dieser Michelangelo in ihrer Wohnung versteckt gehalten wurde.

Die Nazis rücken näher an Wien ran. Die Kaufmanns überlegen sich schon, von Nürnberg zu lernen und den Umzug nach Zürich vorzubereiten. Aber es geht alles viel schneller. Schon sind die Nazis in Wien. Die Kaufmanns können zwar ihr Haus noch vor der Enteignung retten, indem sie es auf Lena überschreiben.

Rudi selbst, der inzwischen ein strammer Nazioffizier geworden ist, hat die Nazis auf den Michaelangelo aufmerksam gemacht und die wollen ihn als Geschenk an Mussolini überreichen lassen. In Berlin gibt es Verhandlungen zwischen einer Delegation aus Italien und den Deutschen. Aber ein Kunstexperte stellt sofort fest, dass es sich um eine Fälschung handelt. Denn der alte Fuchs Kaufmann hat, wie ihm klar wurde, dass die Nazis hinter dem Blatt her sind, schnell bei einem Freund zwei Fälschungen bestellt. Das Original hat er an die Rückwand eines Portraits von sich selbst festgemacht und mit Packpapier geschützt. (Das kann hier ruhig verraten werden, weil es auch im Film nicht wirklich eine Überraschung ist).

Nun muss Rudi das mit der Fälschung logischerweise klären und in Ordnung bringen. Er soll das Original finden. Das Problem dabei ist, dass die Kaufmanns inzwischen auf Betreiben von Rudi im KZ gelandet sind. Aber nur sie können ihm aus der Patsche helfen, denn nur sie wissen, wo das Original ist.

Doch Vater Kaufmann ist im KZ schon gestorben. Vielleicht kann Viktor helfen. Er wird rausgeholt und Rudi soll ihn als Bewacher aus dem KZ in Polen nach Berlin fliegen. Das Flugzeug wird von Partisanen abgeschossen. (mit dieser Sequenz fängt der Film übrigens an). Viktor rettet Rudi das Leben. Aber er vertauscht die Klamotten und gibt sich selbst als SS-Führer aus.

Diesen Rollentausch nutzt Murnberger nun für die brilliante Lektion zur Konsequenz des Satzes: „was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu“.

Murnberger schafft, was die Degeto immer möchte und selten kann: grosses Kino mit einer berührende Geschichte, klar und gut nachvollziehbar erzählt. Wie bei einem Brettspiel folgt bei ihm Zug um Zug und das Spiel bleibt ohne überforderndes Erzältempo spannend. Murnberger hat eine kundige Art zu erzählen. Er macht keine billigen Gags, wie in den unsäglichen „Wunderkinder“ von Degeto, mit blöden Sprüchen wie „auf ein Bier nach dem Krieg“. Er zitiert in einer vergleichbaren Situation lediglich den Schwejk „um sechs nach dem Krieg“.

Roller Girl

Richtig schön, gradlinig erzählte Geschichte einer 16jährigen aus der tiefsten amerikanischen Provinz in der Nähe von Austin; chronologisch wie nach dem Tagebuch und wach beobachtet; so dürfte der Roman geschrieben sein, den die Drehbuchautorin, Shauna Cross, verfasst hat und nach welchem sie das Drehbuch schrieb. Sie führte auch die Regie.

In der Provinz kann man sich Zeit lassen. Die Provinz hat strenge Rituale, Schönheitswettbewerbe zum Beispiel, das ermöglicht ausgiebige Blicke in die Garderobe, wie die jungen Mädchen sich vorbereiten, wie sie ihre Frisuren hochstecken, ihre weißen Kleider anziehen, bodenlang selbstverständlich und die strenge Jury im Publikum. Jede Konkurrentin darf sich kurz vorstellen und sagen, mit wem sie gerne zu Abend essen würde.

Unsere Protagonistin heißt Bliss Cavendar, gespielt von Ellen Page. Sie fühlt sich in der Enge der Provinz nicht wohl. Sie spielt die Rebellin, indem sie vor dem Wettbewerb ihre Haare blau färbt und die Frisur sitzt dann auch nicht richtig. Nun ja, ihre kleine, brave Schwester gewinnt den Pokal, ein scheußliches dreibeiniges Ding, grösser als sie selbst. Die Rebellin, die geht leer aus. Das Verhältnis zur Mutter wird dadurch nicht besser.

Bliss jobbt mit ihrer Freundin in einem Schnellimbiss.

Shauna Cross schildert das liebevoll und einfühlsam. Sie verzichtet auf komplizierte Dialoge, aber immer bringen sie die Geschichte ein ganz klein wenig vorwärts.

Bliss hat also zuhause keine guten Karten mehr, da erfährt sie von einem Roller-Wettbewerb. Dialog mit Freundin: This is a Roller …, this is in Austin…. Frage: will there be cute boys then?

Die beiden Freundinnen fahren alleine los. In Austin kommen sie mit dem harten Sport der Rollerinnen in Kontakt. Der Funke und die Begeisterung springen auf Bliss über. Zuhause jedoch muss sie lügen, wenn sie ab da zum Training will, denn das würde keineswegs toleriert werden. Und wenn sie kein besonderes Talent fürs Rollern hätte, dann bräuchte die Geschichte auch nicht erzählt werden. Sie schützt zuhause Überstunden vor.

Eine nett illustrierende Erzählweise, die die Konflikte immerhin der Reihe nach einführt und auch wieder löst. Respektive, der grosse Teil des Filmes ist die Konfliktexposition, denn die Eltern wissen ja erst nichts davon, der Konflikt kann also bis zum entscheidenden Rennen verheimlicht und dadurch verhindert werden. Konflikt qua Konfliktvertuschung.

Und wie er dann da ist, wie der Termin des entscheidenden Rennens genau mit einem Termin mit der Mutter bei der Mutter-Tochter-Vereinigung (in weißer Kleidung, versteht sich), kollidiert, da ist der Vater plötzlich auf Tochters Seite, denn sie hatte ihn mal beim heimlichen Fernsehen im Wohn-Trailer erwischt. Die Tochter ist schon fertig geschminkt und anlassgemäß provinziell angezogen, da platzt der Vater, der sich inzwischen im Internet – noch eine sehr frühe Variante den Computern nach zu schließen – schlau gemacht und erkannt hat, was für ein Roller-Talent seine Tochter ist.

Es gibt eine ausgiebige Szene, wie sich Bliss mit der Freundin unterhält, weil sie beim Eintritt in die Sportgruppe gefragt wurde, wie alt sie sei, ob sie 21 sei, und da hat sie keck gelogen: 22. Die Freundin machte darnach moralische Einwände geltend, die wischte Bliss beiseite, sie sagte ganz cool: die Grenze ist kritisch, aber ein Jahr mehr, da fragt keiner mehr nach. Das sind doch sympathische Details.

Später vor dem Rennen gibt es eine Auseinandersetzung mit einer 37 Jährigen aus der Gruppe und die kommt dahinter, dass das Mädel erst 17 ist und die spielt ihr erst einen Streich, also eine boshafte Intrige, Mobbingversuch mit anderen Worten. Oder: Geschichten, die das Leben schreibt.

Bevor sie zum Roller-Sport geht,  spottet die Freundin noch „you dont have the balls“.

Schöne Szene, wie sie mit einem Altenbus nach Austin fährt, zweimal kommt das vor, sie sitzt neben einer alten Dame, graues Haar blau gefärbt, die sagt ganz wichtig, sie habe es selber gefärbt; beim nächsten Mal hält Bliss ihr den Wollknäuel, damit sie stricken kann. Auch so ein Glaubwürdigkeit verleihendes Detail.

Im Sport wird Bliss RUTHLESS genannt, weil sie die Lektion gelernt hat, die Gegnerinnen ruthless gleich skrupellos, erbarmungslos auszuspielen.

Bliss verliebt sich in einen ganz netten Typen von einer Band. Die ersten Liebesszenen zwischen den beiden, die sind ganz zart, romantisch, verspielt, unschuldig, sie sitzen auf dem Kühler des Ami-Schlittens, er schmeißt dann die Auto-Schlüssel ins Kornfeld und sie müssen sie suchen. Und dann nochmal. Und dann gibt’s einen Schnitt.

Die ganzen Provinzmenschen, wie sie liebevoll gezeichnet und gekleidet sind, nie richtig dumm, nie zu wach, nie zu grob, aber immer besorgt und leicht ängstlich.
Insofern passt auch die Besetzung, keine dieser im Gesicht korrigierten aufstrebenden jungen Hollywood-Jung-Mumien.

Eine weitere dufte, süsse Liebesszene im Pool, traumhaft die beiden schwimmenden Körper, die sich dann unterwasser züchtig ausziehen, aber natürlich nicht so ganz; sie trägt schöne provinzielle BHs.

Zuhause kommt es zu einem Anschiss; Mutter trägt einen rosa Morgenrock mit breitem Kragen und weißen Stickereien auf diesem.
Ein Film von einem Mädchen für die Mädchen vom Lande und vielleicht noch ihre Mütter oder eher für die Grossmütter.
Denn der Erzählfaden ist, wie erwähnt, gut.

Dazu gehört selbstverständlich aufkeimendes Misstrauen dem Freund gegenüber, ein Missverständnis wie sich rausstellen wird, aber da weiß Mutter ganz schnell: Bliss ist ganz traurig, sitzt in der Küche, weint schier und sagt: please dont judge me right now. Und Mutter meint: he doesnt deserve you. Die lieben Mütter ohne allen Arg.

Es ist ganz naiv der Entwurf eines Provinzmenschenbildes nach Beobachtung oder „nach der Natur“ und ohne tiefere Druchdringung, ohne grosses Kratzen am Lack, ganz lieblich dargestellt. Die Eltern wollen das Beste für die Kinder. Das war immer so. Das wird immer so bleiben. Und oft werfen sie dadurch den Kindern Steine in den Weg. Und erst durch den Erfolg der Kinder lernen die Eltern, was dem Kind gut tut. Bis dahin ist auch der Freund wieder da. Ende gut, alles gut.

Kino wie das persönliche Tagebuch einer in der amerikanischen Provinz Heranwachsenden.

Cairo Time

Das Portrait einer einsamen westlichen Frau vor der wehmütigen Kulisse Kairos, von Juliette Grant, deren Mann als UN-Mitarbeiter in Gaza tätig ist. Das erste Lied im Taxi nach ihrer Ankunft in Kairo ist von Umm Kulthum, der vielleicht berühmtesten ägyptischen Sängerin.

Die Story: Juliette Grant will ihren Mann in Ägypten besuchen, um mit ihm einige freie Tage zu geniessen und die Pyramiden zu besichtigen. Aber Mark arbeitet für die UN in Gaza. Da kann gerne was dazwischen kommen. So hängt denn Juliette in Kairo rum. Wird sehr schnell von Männern ziemlich krass angemacht (want to fuck you) und eine ganze Truppe marschiert schon hinter ihr her, bis sie in ein Geschäft flüchten kann. Aber vorher hat sie schon Tareq kennengelernt, einen ehemaligen Mitarbeiter ihres Mannes, der jetzt ein Kaffee betreibt. Der hat sie vom Flughafen abgeholt und ihr auch sein Kärtchen gegeben, falls was sei.

Patricia Clarkson, die die Juliette spielt, hat das gewisse verschlossene, sphinxhaft Geheimnisvolle in ihrem Gesicht, diese zarte Schicksalsergebenheit, die im Kontext zu Kairo eben die Einsamkeit einer solchen Gattin und ihres Lebens noch schöner zur Geltung bringt.

Da im Hotel das Internet nicht funktioniert, geht sie in einen Internetshop und wird gleich von ihrem Nachbarn angebaggert. Später flüchtet sie in das Kaffee von Tareq. Nur Männer drin. Das ist nicht für Frauen. Tareq ist am Spielen.

Es wird nah am Realistischen erzählt ohne grossen Farbabgleich, ohne grossen technischen Aufwand, das macht den Film so sympathisch, dass Ruba Nadda, die Regisseurin aus Kanada, dran bleibt an dem, was sie interessiert, die Bebilderung der Einsamkeit von Juliette vor der Kulisse und der Gesellschaft des Nahen Ostens.

Wie Tareq Juliette am Flughafen abholt, begegnet er Jasmin, einer früheren Liebe von ihm. Beide stammen aus Damaskus (dort regnet es im Winter und auch Schnee ist nicht unbekannt). Eine Heirat kam für die beiden nicht in Frage, denn sie ist armenische Christin, er Muslim. Jasmin lädt also Tareq und Juliette spontan zur Hochzeit ihrer Schwester auf dem Lande in der Nähe von Kairo ein. Ganz einsam soll Juliette nun doch nicht bleiben in der Megacity.

Diese Hochzeitseinladung gibt Gelegenheit sich schick zu machen und mit dem Zug durch Ägypten zu fahren in die Dattelplantage und diese Hochzeit zu zeigen, aber nicht zu exzessiv, etwas Musik und Tanz und begeisterte Gesichter.

Tareq wollte Juliette auch die Pyramiden zeigen, aber das hat sie ihrem Mann versprochen. Der ist im Moment nicht zu erreichen. Sie erhält nur Nachrichten, dass er immer noch verhindert sei, dass es ihm aber gut gehe.

So nimmt sie denn auf eigene Faust einen Bus nach Gaza, um ihn zu besuchen. Aber der Bus fährt an der Grenze nicht weiter. Die Frau neben ihr drückt ihr, bevor die Grenzkontrolle kommt, einen Brief in die Hand, den sie bitte abgeben möge. Die Frau ist schwanger. Jedenfalls kommt Juliette nicht nach Gaza. Der Soldat, der die Pässe kontrolliert, rät ihr, jemanden anzurufen, der sie abholt.

Vorher hatte Tareq sie schon zu einer Bootsfahrt auf dem Nil eingeladen. Und einmal geht sie mit ihm Wasserpfeife rauchen. Im Zimmer wird sie mehrfach durch das Zimmermädchen erschreckt, das plötzlich da ist. Der Brief, den sie abliefern soll, bringt Juliette in die Teppichknüpferei, wo lauter Mädchen mit Kopftüchern, die maximal 13 sind, an den Knüpfstühlen sitzen. Das gibt Gelegenheit für einen kleinen Gedankenaustausch über Kinderarbeit. Vorher aber hatte Tareq den Brief geöffnet um ihn zu lesen, denn man weiss nie, neulich seien zwei Amerikaner vor ihrem Hotel erschosssen worden, aber er sieht dann, dass es um die Info der Schwangerschaft geht.

Das Fühlige am Film ist, dass Juliette Zuneigung zu Tareq entwickelt, der ihr eine Kartusche mit seinem Namen drauf schenkt, die sie um den Hals hängen kann. Also lässt sie sich von ihm auch zum Pyramidenausflug verführen. Unaufdringlich schöne Bilder am frühen Morgen. Sie im türkisblauen Kleid. In der Wüste. Dann die Stufen der Pyramide hoch. Nähe. Gefühle. Ein Kuss liegt in der Luft.

Bis zur Rückkehr ins Hotel ist Mark dort eingetroffen. Nur kleine Irritation. Sie holen jetzt endlich den Ausflug zu den Pyramiden nach. Das Ehepaar sitzt schweigend im Fond einer Taxe. Mark fragt nach der Kartusche. Juliette hängt dem Erlebnis mit Tareq nach. Dann wendet sie sich Mark zu.

Eine schöne Info über ihr Standing gibt Juliette schon in der Taxifahrt am Anfang mit dem Satz, ihre Tochter studiere creative writing, something she loves. Der Film ist so ruhig gedreht mit unaufwendigen Aktionen, alltäglichen Selbstverständlichkeiten, die sich wie von selbst ergeben. Vermutlich könnte man die Tonspur sogar als Hörspiel mit eigenem Erlebniswert genießen.

Eine merkwürdige Aktion nach Bezug des Hotelzimmers: Juliette hievt wie ein kleines Insekt einen grossen Hotelzimmersessel direkt vor die Terrassentür, damit sie sich reinsetzen und die Aussicht, den Nil, ein paar Palmen und Hochhäuser auf der anderen Seite geniessen kann, vor allem dringt das laute, unaufhörliche Gehupe Kairos ins Zimmer.
Weiterer Text von ihr beim Telefonieren mit ihrem Mann, sie habe keine Lust beim Embassy Event mit all den Erdölfrauen zusammenzusitzen. Das Event kommt. Sie sitzt mit den Erdölfrauen zusammen. Sie ergibt sich in ihr Schicksal, erträgt es ohne mit der Wimper zu zucken, aber auch ohne jeden Anflug von Begeisterung.

Wie sie allerdings in der Stadt von den Männern belästigt wird, da spürt sie, dass sie verrückt werden könnte.

Der Film könnte die direkte Transskription eines Tagebuches von Juliette sein, ihren Seelenstimmungen, ihrer Sehnsucht, ja, ihrer Einsamkeit; die wird zum Beispiel in dem Moment noch drastischer dargstellt, wenn Tareq ihr ausrichtet, ihrem Mann gehe es gut.

Manchmal kommen einem die Texte der Schauspieler einfach gut gelernt vor; aber das reicht, das ergibt hier sogar eine Zutat zu dem Flair von Verlorenheit.
Die Regisseurin scheint eine sehr pragmatische Erzählerin zu sein; mit schnellen Entschlüssen, was wichtig sei und was nicht. Kein Kamerafirelfanz bitte, keine Lichtorgien, wenn sie denn überhaupt Zusatzlicht zu den natürlichen und eh vorhandenen Quellen gesetzt hat.

Der Film wird ab und an von einer dezenten Piano-Hintergrundmusik begleitet. Auch so typische Sätze, wie „my English is bad“, fehlen nicht und die Antwort der original Englishsprechenden darauf: no, no. – No, you dont feel bad in Cairo. Vielleicht ist es ja eine Ahnung vom Leben.