The Tree of Life

Terence Malick konfrontiert uns mit einem Kino biblischen Ausmaßes, was die Grundfesten unseres Handelns und unserer Liebe auf den Prüfstand stellt.

In Cannes sollen Kritiker Buh geschrien haben; waren sie überfordert von dieser geballten Ladung Kino und Menschen- und Schicksalsforschung, die mehr Substanz enthält als ein ganzer Jahrgang des subventionierten deutschen Kinos?

Jack zu sein, das ist der Traum eines jeden Menschen: Wunschkind, alles stimmt beim Wunschkind. Das Wunschkind von O’Brain und seiner Frau heisst Jack. O’Brian wird gespielt von Brad Pitt und Frau O’Brain von Jessica Chastain. Der in dieses auf soliden Grundpfeilern aufgebaute Gefäss von einer Familie hineingeboren und hineingeborgen wird und darin aufwächst, dieser Jack, der ein hübscher Junge war, der wird, wenn er gross geworden ist, gespielt von Sean Penn. Und er sieht nicht mehr gut aus. Man würde ihm das Wunschkind nicht mehr unbedingt geben, wenn man ihn sieht im Gewirr der Hochhäuser in diesem modernen Wolkenkratzerlabyrinth mit rasenden Liften und geometrischen Gängen und nichts als Wolkenkratzerfronten um sich rum. Und ein ins Auge stechener Vogelschwarm, wie dressiert zur Irritation. Etwas muss da gründlich schief gelaufen sein. Oder der biblische Gott war kurz weg, hat nicht ganz aufgepasst.

Hiob 38, 4, 7, diese Bibelworte setzt Malick seinem Kino-Gottesdienst voran.
4 WO WARST DU ALS ICH DEN GRUND DER ERDE LEGTE?
7 ALS DIE MORGENSTERNE MITEINANDER JAUCHZTEN UND ALLE SÖHNE GOTTES JUBELTEN? Der Gott muss kurz weg gewesen sein. Er muss das Wunschkind Jack für einen Moment aus den Augen gelassen haben. Natur und Gnade: gibt es da eine Entscheidung, muss sich der Mensch dazwischen entscheiden? Natur dient nur sich selbst, herrscht durch den Willen. Geist und Natur gehen schon beim Einläuten des Malickschen Gottesdienstes eine heftige cineastische Symbiose ein. Der biblische Gott ist ungerecht. Er belohnt den Rechtschaffenen nicht oder nur nach Lust und Laune. Der biblische Gott ist launisch wie die Naturgewalten. Der biblische Gott ist furchtbar, ihn schert die menschliche Rechtschaffenheit nicht. Er mag zwar das Universum geschaffen haben, aber für Gerechtigkeit unter den Menschen, da hatte er keine Zeit. Da kann dem Menschen zum Hadern zumute werden. Aber die Gnade, die müsste doch für ein gutes Ende stehen.

WUNSCHKIND UND FAMILIE

Geburt des Erstgeborenen, Geborgenheit, die Taufe, Wiege in traumhaftem Lichte: ein Brüderchen ist da; Jacks erste Schritte, die Mutter liest Geschichten vor, Bilder von Trautheit und Vertrauen, die Kids spielen und balgen sich oder das glückliche Bild vom Filmplakat: Vater mit den zwei Buben dabei, Steine über die Wasserobfläche so zu werfen, dass sie hüpfen, flitschen; Impressionen einer glücklichen Kindheit in dem Häuschenviertel mit den breiten Strasssen und viel Platz; Buben, die spielen, werfen, kicken, Schlingel, die Blödsinn machen, rumtoben, Klassisches Orchester dazu. Seifenblasen. Spielen mit Holzfigürchen: Nashorn, 2 Krokodile, Känguruh, das hüpft. Kuchen: das ist mein Stück. Mit Vater einen Baum gepflanzt. Buben springen im Dampf hinter Strassenkehrmaschine her, auf der DDT steht. Eine trautes häusliches Wäscheaufhängebild. Dad ist auf Reisen. Nach der Chinareise geht die Familie italiensch essen, Vater: AL DENTE. Friede und Glück von Mutter mit Kindern zuhause. Wundversorgung. Die Knaben toben sich aus, mit Blechbüchsen oder mit Holz gegen Blechwand, schmeissen Scheiben ein in verlassenem Gebäude, zünden eine Rakete mit Frosch, hanging around. Lernen und Experimentieren. Das thematisiert der Vater auch.

JACK und die Linie, die er nicht überschreiten soll.

Halloween. Hexengeschichte, Masken.

In das ruhige Leben platzt ein Brief hinein, der den Tod eines 19jährigen verkündet. Oh Gott, warum hast du mich verlassen, Mutter ist unglücklich, my son, my son. Er ist nun in Gottes Hand; er war es immer. Jack entdeckt eine leere, dunkle Treppe, die in ein unbewohntes Zimmer unterm Dach führt. Er erlebt den Tod; er nimmt sehr sensibel die Grimassenöffnung einer Ruine als Signal von Negativem wahr. Gelegentlich hört man auch Vater oder Mutter ganz leise mit Gott hadern. Hiob. Hiob. Wie hat Mutter das ertragen.
Widerspruch zwischen Natur und Gnade anhand der Differenz des väterlichen und des mütterlichen Prinzipes. Macherprinzip gegen Dulderprinzip.

 

DER VATER

Die Natur. Das Herrschen. Das Prinzip des Willens, des Durchsetzens, des Erreichens. Vater steht aber auch für die Kultur. Er erzählt von Brahms. Er spielt Klavier. Er spielt Orgel. Das Tischgebet gehört zum Essen. Von der Chinareise bringt Vater den drei Buben Geschenke und Toilettentücher aus dem Hotel und Erzählungen (Trophäen?). Aber auch Vater hat Fehler gemacht, er wollte ein grosser Musiker werden – und ist dann in einem Industriebetrieb gelandet. Vaterprinzip: Something Big: einmal erzählt Vater über Frank Johan, der Frisör war, aber he built something big, er hatte dann Immobilien. Vater, der die Kunst des Möglichen, des Herrschens lehrt, Brutalität, keine Demut.

Die Prinzipien des Vaters und das Verhältnis zum Sohn : Liebst du Deinen Vater?
Reach me my lighter. Herrschen: der Sohn muss auf Sätze vom Vater immer mit „Sir“ antworten. Jack betet für sich, er wolle nicht mehr frech zu seinem Vater sein, nicht mehr die Hunde aufhetzen, wolle dankbar sein, nicht lügen. Die Welt ist eine Gaunerei.
Siehst Du mir zu (Gott). Wo bist Du. Ich will sehen was Du siehst. Vater spielt Orgel. Jack steht daneben: schon halbwüchsig. Jack muss 50 mal leise die Tür zu machen, weil er sie geknallt hat. Harte Erziehungsprinzipien, um die Welt in Griff zu kriegen. Vater gibt Jack Anweisungen, wie er zu boxen haben, er solle ihn schlagen. Hit me Jack!

Toscanini. Hat bei einer Aufnahme 65 mal aufgenommen und nachher gemeint, er könne es noch besser. (Naturbeherrschung und Perfektionismus). Vater: Das Schicksal liegt in Deiner Hand. No interruptions please. Vater in einen Repräsentationsgebäude alter Art, wie das Kapitol mit Kuppeln.

Papa spielt Klavier.

Gib dem Vater einen Kuss. Beim Sitzen auf dem Stuhl soll man ganz vorne sitzen, das ist besser für die Haltung. Vater zur Mutter: Du hetzt meine Kinder gegen mich auf!
Gewalt mit seiner Frau, er nimmt sie in Würgegriff. Vater kauert vorm Gemüsebett. Sohne kauert sich daneben. Ein Ansatz von vorsichtig vertraulichem Nebeneinander. Auch der Vater wollte geliebt werden, wie er gross war. Er fühlt sich als ein Nichts. Missachtet.
A foolish Man. Vater schlägt sich selbst ins Gesicht. Closing the Plant. Sein Betrieb macht dicht. Choice: no job oder einer, den keiner will. Vater liegt zwecks Reparatur unterm Auto. Sohn schleicht drum herum. Man kann seine Gedanken lesen; ein Schubs an den Wagenheber…
Dann spricht Jack halblaut für sich (etwas überdeutlich scheint mir), bitte Gott, bring ihn um.
Vaters Selbstmitleid, wie gut er war, nie krank, hat regelmässig was in die Sonntagskollekte getan, vielleicht war er zu streng zu Jack. Jack fühlt sich ihm ähnlich.
Die Jungs sind jetzt noch sein Lebenswerk, alles was er hat. Vater zu Jack: Unterbrich mich nicht. Jack: Du tust es auch. Es ist Dein Haus. Du kannst mich jederzeit rauswerfen.
Vater-Sohn-Konflikt heizt sich auf. Vater rastet aus und sitzt dann ganz allein am Tisch.

MACHERPRINZIP GEGEN DULDERPRINZIP

Jack schreit Vater an: sie liebt nur mich (gemeint die Mutter).

DIE MUTTER UND DAS PRINZIP DER GNADE

Was sie alles erleidet, erduldet, hinnimmt, ihr Mitgefühl, ihre Liebe. Mutter ist wohltätig. Unendliche Liebe der Mutter, die alles verzeiht und sich nicht gegen den Mann resp. den Vater von Jack wehren kann. Mutter ist naiv, man braucht Willen. Mutter. Liebe, tue Gutes, hoffe.

JACK UND DIE MUTTER

Warum wurde er (den Vater meint Jack) geboren? Das fragt er die Mutter

JACK UND DIE BRÜDER

Jack mit seinem Bruder im Wald. Sie schiessen. Ins Wasser. Dann schiesst er seinem Bruder in den Finger. Mit dem Flaubert-Gewehr. Dann eine versöhnliche Bruderliebe-Szene der beiden. Was ich machte, das darf ich nicht. Verlassene Hütte. Jack schmiegt sich an seinen Bruder.

SCHICKSAL.

Hiob und das Schicksal. Gibt es Dinge, die der Mensch nicht in der Hand hat? „Kann das jedem passieren“ fragt Jack, wie er einem armen Kerl in Ketten begegnet und ihm was zu trinken gibt. Jack allein zuhause. Eine festlich gedeckte Tafel. Und wieder die einsame Treppe auf den Dachboden. Ein Windspiel. Später schlägt er einen Ast gegen einen Baumstamm. Energie will raus. Aufgestautes. Wut vielleicht, die sich nicht in Bösem äussern will?

Konfirmationspredigt des Pfarrers. Bub allein auf der Strasse, versunken. Er ist nachdenklich mit einem Gesichtsausdruck: schau mich nicht an. Ein Zelt im Garten. Jack ist allein im Haus. Er ist fortan öfter allein zu sehen. Im Versuch, klare Gedanken zu bekommen zwischen all den Eindrücken, allein auf der Strasse, er geht durch Räume, nichts besonderes suchend, sich nicht materiell ablenkend. Er entdeckt in einer Schublade Frauenkleidung und Schmuck. Er hält ein weibliches Dessous vor sich. Er vergräbt es unter einem Brett. Es schwimmt im Wasser. Fantasien vielleicht. Brüche bei Jack. Später wird Jack dann die Holzfigürchen wegschmeissen, NO. Die Knaben beim Schwimmen, einer taucht nicht mehr auf. Beerdigung. All das sieht Jack sehr wach und fragt sich, ob es ihn auch treffen könne. Jack wieder allein auf der Strassse.

DER ALTE JACK

Penn in symbolischen Gegenden, Wüste, Rahmen, Türrahmen, Fenster, Fensterrahmen, Hightechbüros. Denkt täglich an den Vater. Wie leben mit diesem Unglück. Was ist aus dem Wunschkind geworden? Kerzen, Chöre, Natur, Begegnung im Walde mit seinem jüngeren Selbst, der geht voraus. Türsymbolik. Ist die Geschichte der Schlüssel zum Glück?
Meer. Hochhaus, Lift, Penn verwirrt dazwischen

Die Kirche, in der Malick seinen Gottesdienst feiert, in der er seine Hiob-Auslegung ausbreitet, ist ein barockes Gotteshaus über und über bemalt, in schier unerträglicher Fülle der Bilder, pathetischen, urweltlichen, mikro- und makrokosmischen, Farben, die ineinanderfliessen, Kerzenlicht, viel lyrische Malerei drum herum. Die Filmmalerei als Flash- und Experimentiermethode, unglaubliche Aufnahmen von Natur- und Allgewalt, Vulkane, Geysire, Wolken und Getöse. Aber durch das vorangegangene Kanzelwort, ist der Geist des Zuschauers auf eine ganz bestimmte Bahn gebracht, um dieser Bilderreizflut zu begegnen, um sich deren Sog entgegenstemmen zu können. Gedanken um die Endlichkeit des Menschen, die Existenz des Menschen, die in der reinen Schöpfergewalt doch nichts sei, oder vielleicht grade wie eine Blüte auf einem schnell fliessenden Bach. Und was dem Menschen bleibe, das Problem vor das sich Jacks Vater in dem Moment gestellt sieht, wo er den Job verliert. Da bleiben ihm nur noch die Familie, die Söhne.

Auch eine barocke Liturgie: Lichtspiele zu Sopran, extrem amerikanisch religiös.We crie to you, my soul, my son, hear us. My life, my search for you My child – Chorgesang. Merkwürdig, Hiob 38, 7, “miteinander jubilierten”…

Neubarocke Kinoleinwandbildmalerei:

Naturaufnahmen, Bäume, Wiesen, Gras, Unterwasseraufnahmen, Wind, Wolken, Boden, Geysir, Vulkan, Brandung, Glut, Feuer, Tropfen von Nah, Melange von Materialien. Strukturen, Blitze. Konvulsionen. Unterwasser. Quallen. Eruptionen. Urwald. Bächlein, Ungeheuer, animiert, Urzeitengetier. Eines erzieht das andere mit der Pfote, mit der es des anderen Kopf zu Boden drückt. Gewalt. Bilder, die an naturgeschichtliche Bilder-Bücher aus den 50er Jahren erinnern.

AUSKLANG

Unglück trifft auch die Guten. Wir sind nur Wolke, wie Baum. Gibt es etwas Unvergängliches? Ist jemand gefreit gegen Zerstörung? Unglück findet Euch überall. Rückblende: Wann hast du mein Herz zum ersten Mal berührt.

Symbolische Menschen, viele Menschen wie stilisiert auf einer sandigen Ebene am Rande des Meeres, eben von Wasser zugedeckt. Wüstenlandschaft. Aus der Wüste kam das Wort. Feierliche Chöre. Menschen auf Wasser und Sand. Mutter in grünem Kleid auf den alten Jack zu. Umarmung. Alles sehr symbolisch. Der Chor singt requiescet in coeli.
Sonnenuntergangsymbolik. Alte, faltige Hand berührt Mutter; Schnitt: jetzt ist die Hand jung. Sonne, Meer, Wolken, dunkle Gestalten, herabschwebende Maske, symbolisch, Haus am Strand, der Blick nach draussen,

Ich gebe ihn Dir. Ich gebe Dir meinen Sohn.

Brücke im Gegenlicht.  (mir fällt der Begriff „Brückentechnologie“ ein).

 

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