vincent will meer

Die Anteile an Qualitäten und jene an Defiziten bei dieser sympathischen kleinen Road-Movie-Komödie mit ernsten Einsprengseln auseinanderzuhalten, ist ungefähr so fitzelig wie bei mancher Art Fischfilet die Gräten vom nahrhaften Gewebe zu trennen.

Positiv zu vermerken ist, dass der Protagonist, Florian David Fitz, selbst das Drehbuch geschrieben hat, also einer, der aus der Praxis kommt. Das dürfte mit ein Grund sein dafür, dass er allen drei Hauptakteuren schauspielerisch dankbare Attribute zugeschrieben hat, sich selbst ein Tourette-Syndrom, dem Kollegen, der im Film Alexander heisst, eine Zwangsneurose und der Kollegin, im Film Marie genannt, eine Magersucht, wobei diese schauspielerisch wohl am unergiebigsten ist.

Auch das Grundkonzept mindestens des Hauptteils der Geschichte, nämlich dass Vincent, so der Name der Hauptfigur, die Asche seiner Mutter dem Mittelmeer übergeben will, und dazu also dorthin reisen muss mit den entsprechenden Hindernissen, dürfte das „Gut zum Dreh“ einer jeden Komödienwerkstatt zurecht erhalten haben.

Denn nicht nur ist die Dreiergruppe, die dann den Ausbruch aus der Klinik wagt, mit den erwähnten Defekten versehen, es kommt auch noch eine passende Verfolgungsjagd von Papa zusammen mit Frau Dr. Rose, einer Klinikmitarbeiterin, hinzu.

Bis es soweit ist, sind aber, und das wirkt eher verkomplizierend statt erleichernd, zwei weitere Anfänge vorangesetzt.

Zuerst ist die Abdankungsfeier der Mutter und Vincent wird plötzlich sehr auffällig, es ist nicht klar, ob Show oder Protest, er stößt unartikulierte Laute aus, verläßt die Kirche, bietet vor der Tür einen Ausbruch, als ob ihm speiübel wäre, macht zackige Bewegungen, die nach Unbeherrschtheit aussehen und poltert gegen die Tür. Wer das Tourette-Syndrom nicht kennt, würde nicht gleich auf ein Syndrom schliessen, bleibt eher ratlos.

Dann muss ein Vater-Sohn-Konflikt eingeführt werden. Der Vater, der die geschiedene Frau, Mutter und Alkoholikern, und den Sohn verlassen hat. Der aber jetzt im Wahlkampf ist und beim Sohn einziehen will. Weil das nicht geht – Konfliktflucht – wird der Sohn ins Heim gesteckt. Das ist papierener und erklärender, als es einer Komödie gut tut.

Im Heim geht es papieren weiter. Erst wird der Unterschied zwischen heilbar und therapierbar erklärt, was für den Fortgang der Geschichte ohne jeden Belang ist. Genauso wie die Führung durch das Heim. Dabei lernt Vincent immerhin Marie kennen, aber die Dramaturgie nutzt diese Führung nicht dazu, ein spannendes Verhältnis zwischen den beiden in Gang zu setzen. Die Führung ist ein reiner Besichtigungsvorgang. Schliesslich muss Vincent noch Alexander, seinen Zimmergenossen und dessen Zwangsneurose kennenlernen, zum Beispiel anhand der Bemerkung Alexanders, wie die beiden schon in durch eine Wand getrennten Betten liegen, Onanieren müsse abgesprochen werden.

Dann erst, und wie durch Zufall, wird die Hauptgeschichte, dass Vincent meer will, in Gang kommen, aber entgegen der Ankündigung durch den Titel nicht durch Vincent selbst, sondern durch Marie, die plötzlich beim Zähneputzen neben Vincent steht und meint, sie hätte ein Auto und sie könnten irgendwohin fahren. Das kommt mir so vor, als ob der Autor, der schon ein ganze Weile dies und das geplaudert hat, fragt, soll ich Euch jetzt eine Geschichte erzählen?

So besehen kommt das Movie richtig gemütlich in Gang. Gegen diese Gemütlichkeit sprechen die Darsteller mit hohem Tempo an, möglichst unnuanciert und geradeaus, Heino Ferch, der Darsteller des Papa, schreit auch schnell mal; das bringt zwar kein geistiges Tempo in die Sache, lässt die Figuren aber lustig erscheinen, ähnlich wie Kasperle. Das ist unterhaltsam, vielleicht auch darum, weil es eine Anstrengung ist, die sich so aus der jeweiligen Situation nicht unbedingt ergeben würde. Zu einer gewissen darstellerischen Ausstellung der Mechanik ihrer Ticks neigen auch die beiden jungen Macken-Männer statt sich auf deren Autonomie einzulassen, wodurch sie auf das Moment der Anrührung des Zuschauers verzichten.

Wie dann die drei Ausbüchser und ihre Verfolger endlich unterwegs sind, da wird es richtig nett, es gibt auch immer wieder Zeit für besinnliche Gespräche über die Krankheiten und deren Bewältigung, über die Liebe und je mehr sich die Reise dem kunsthandwerklich zum Glück gezöpfelten Ende nähert, verwandelt sich unser Kinogefühl in ein süss-säurliches Fernsehgefühl.

Gegen Schluss, wo eine Komödie nochmal tüchtig Tempo gewinnen sollte, da bleibt hier Zeit für einen Witz wie diesen, beim Betrachten der Fotos von der Hochzeitsreise meint Papa „War die Hochzeitsreise. Das Hotel hiess Vincente. War vielleicht keine gute Idee, den Sohn danach zu nennen“, worauf Frau Dr. Rose antwortet „Gut, dass Sie nicht im Holiday Inn waren.“ – tja, so sicher bin ich mir da nicht.

3 Gedanken zu „vincent will meer“

  1. Ich denke, ich werde mir den Film auch anschauen. Ich habe gestern morgen auf Motor FM in Berlin eine ganz interessante Filmkritik gehört, die sich mit eurer in vielerlei Hinsicht deckt. Kann bestimmt ganz interessant werden.

  2. Auf jeden Fall anschauen, würde ich sagen. Das Kino braucht kritische Zuschauer, das hilft auch dem Kino. Und ich wäre dann an einem kurzen Feedback im Vergleich zur Review natürlich interessiert.

  3. Ein herrlicher Film! Für outsider sogar etwas aufklärend! Geht rein und unterstützt somit die Tourette-Szene. Das Leben ist schon hart genug – da ist der Kinofilm fast schon Balsam für die Seele! Danke Florian David Fitz und Danke Hermann Krämer (wird im Abspann des Filmes erwähnt). Rubindo

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